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Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse

Titel: Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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oberen Rand einer Schlucht, die bis hinunter zum Meer abzufallen schien. Sie faßte sich ein Herz und ging vorsichtig ein paar Schritte auf einem alten Pfad hinunter. Sie blieb stehen und lauschte ... kein Laut war zu hören. Sie war allein. Sie ging weitere fünfzig Fuß und kam an ein kleines Haus aus verwittertem Stein. Es stand leer und verlassen: offenbar ein alter Tempel.
    Weiter hinunter wagte sie sich nicht. Man würde sie vermissen, und Dame Boudetta würde sie schelten. Sie reckte den Hals, um tiefer in die Schlucht hinunterzuschauen, und erspähte das Laubwerk von Bäumen. Widerstrebend machte sie kehrt und lief den Weg zurück, auf dem sie gekommen war.
     
    Ein Herbststurm brachte vier Tage Regen und Nebel nach Lyonesse, und Suldrun war auf Haidion gefangen. Am fünften Tag riß die Wolkendecke auf, und Sonnenstrahlen brachen durch die Ritzen. Gegen Mittag war der Himmel zur einen Hälfte freies Blau, zur anderen windgetriebenes Gewölk.
    Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit rannte Suldrun die Arkade hinunter, schlüpfte durch den Tunnel unter Zoltras Mauer und huschte nach einem kurzen, sich vergewissernden Blick über den Urquial unter die Lärche und durch die alte Holztür. Sie zog die Tür hinter sich zu und stand einen Moment reglos, erfüllt von dem prickelnden Gefühl der vollkommenen Abgeschiedenheit vom Rest der Welt.
    Dann stieg sie den Pfad zu dem kleinen Tempel hinunter: einer achteckigen Steinkonstruktion, die auf einem Feldvorsprung kauerte. Dahinter eine steil aufragende Felswand. Suldrun spähte durch die niedrige Bogentür. In einer Entfernung von vier großen Schritten sah sie die Rückwand. Davor erhob sich ein kleiner steinerner Altar, beherrscht von dem Symbol Mithras an der Wand. Links und rechts befand sich je ein kleines Fenster an den Seitenwänden. Das Dach war mit Schieferplatten gedeckt. Verwelktes Laub war durch den Eingang hereingeweht. Ansonsten war der Tempel leer. Muffig-süßlicher Geruch schlug ihr entgegen, schwach, aber unangenehm. Suldrun rümpfte die Nase und wich zurück.
    Die Schlucht fiel steil ab. Die Kämme zu beiden Seiten nahmen die Form von unregelmäßig gezackten niedrigen Klippen an. Der Pfad verlief zickzackförmig zwischen Steinbrocken, wilden Thymiansträuchern, Affodill und Disteln und mündete schließlich auf einer Terrasse. Zwei mächtige Eichen, die die Schlucht fast ausfüllten, standen Wache über dem alten Garten, der sich unterhalb der Terrasse ausdehnte, und Suldrun fühlte sich wie eine Entdeckungsreisende, die auf ein neues Land gestoßen war.
    Zur Linken ragte die Klippe hoch auf. Ein wild wucherndes Dickicht aus Eiben, Lorbeerbäumen, Weißbuchen und Myrten beschattete ein Unterholz aus Sträuchern und Blumen: Veilchen, Farne, Glockenblumen, Vergißmeinnicht und Anemonen. Der Duft von Sonnenblumen erfüllte die Luft. Zur Rechten schirmte die Klippe das Sonnenlicht ab. Darunter wucherten Rosmarin, Affodill, Wildgeranien, Eisenkraut, und schlanke schwarzgrüne Zypressen und ein Dutzend riesige Olivenbäume, deren frisches graugrünes Blattwerk in starkem Kontrast stand zu den knorrigen, verwachsenen, vom Alter gezeichneten Stämmen, wuchsen dort.
    Wo die Schlucht sich verbreiterte, stieß Suldrun auf die Ruine einer römischen Villa. Das einzige, was von ihr übriggeblieben war, war ein zersprungener Marmorfußboden, eine halb umgestürzte Kolonnade und ein paar zerborstene Marmorblöcke, halb überwuchert von Unkraut. Am Rande der Terrasse stand ein einzelner alter Lindenbaum mit einem massigen Stamm und weit ausladender Krone. Unten führte der Pfad auf einen schmalen Streifen Kiesstrand, schlängelte sich zwischen den beiden Klippen, die wie zwei Vorgebirge tief ins Meer hineinragten, und endete im Wasser.
    Der Wind hatte sich fast vollkommen gelegt. Doch immer noch leckten die Wogen des vorausgegangenen Sturms um die beiden Vorgebirge und brachen sich schäumend auf dem Kies. Eine Weile stand Suldrun da und schaute auf das vom Sonnenlicht glitzernde Meer hinaus. Schließlich wandte sie sich um und blickte hinauf zur Schlucht. Der alte Garten war zweifellos verzaubert, doch es war eine gutartige Magie, die über ihm lag, denn sie fühlte nur Frieden. Die Bäume badeten sich im Sonnenlicht und schenkten ihr keine Beachtung. Die Blumen liebten sie alle, bis auf den stolzen Affodill, der nur sich selbst liebte. Schwermütige Erinnerungen regten sich zwischen den Ruinen, aber sie waren unwirklich, schwächer als ein Hauch, und sie

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