Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
Wein. Yane rief die Kellnerin, ein junges Mädchen, zu sich. »Nun, mein Püppchen, wie viele Krüge Wein hast du uns schon gebracht?«
»Drei, Herr.«
»Richtig! Von jetzt an kommst du jedesmal, wenn du uns einen neuen Krug auf den Tisch stellst, zu mir und sagst mir laut, der wievielte es ist. Ist das klar?«
»Ja, Herr.«
Der Wirt kam auf seinen Storchenbeinen durch den Schankraum zu ihrem Tisch geschlendert. »Habt Ihr Anlaß zur Klage, Herr?«
»Nein, nein. Das Mädchen zählt nur die Zahl der Krüge nach, die wir leeren. So kann es keinen Irrtum bei der Zeche geben.«
»Pah! Ihr müßt das Hirn der Kleinen nicht mit solchen Rechnereien verwirren! Ich schreibe die Krüge schon hinter der Theke an.«
»Und ich mache dasselbe hier, und das Mädchen hält uns immer gegenseitig auf dem laufenden.«
Der Wirt warf die Arme hoch und stelzte zurück in seine Küche. Gleich darauf kam er zurück und trug das Abendessen auf. Die zwei Kellnerinnen hielten sich derweil abwartend im Hintergrund und eilten flink herbei, um die Becher zu füllen und neue Krüge zu bringen, wobei sie jedesmal Yane die Zahl nannten, während der Wirt, der wieder mit mürrischem Gesicht hinter seiner Theke lehnte, seinerseits Buch führte und hin und her überlegte, ob er es wagen sollte, den Wein mit Wasser zu verdünnen.
Aillas, der den anderen im Trinken nicht nachstand, saß behaglich in seinen Stuhl zurückgelehnt und betrachtete seine Kameraden, wie sie es sich gutgehen ließen. Garstang vermochte, gleich unter welchen Umständen, niemals seine adlige Herkunft zu verbergen. Bode hatte, durch den Wein gelöst, zum erstenmal seine grimmige Miene abgelegt und war unerwartet lustig geworden. Scharis saß wie Aillas in seinen Stuhl zurückgelehnt und genoß die Behaglichkeit. Faurfisk gab mit großem Eifer derbe Anekdoten zum besten und neckte die Kellnerinnen. Yane sprach wenig, schien aber ein sardonisches Vergnügen an der gutgelaunten Munterkeit seiner Freunde zu finden. Cargus hingegen starrte verdrießlich ins Feuer. Aillas, der neben ihm saß, fragte ihn schließlich: »Was bedrückt dich so, daß deine Gedanken Schwermut über dich bringen?«
»Ich denke viele Gedanken auf einmal«, sagte Cargus. »Sie ziehen durch meinen Geist wie eine wirre Folge von Bildern. Ich denke an das alte Galicien, an meinen Vater und meine Mutter und wie ich fortging von ihnen, als sie alt waren, wo ich hätte bleiben können und ihnen ihre alten Tage versüßen. Ich denke über die Ska nach und ihre harten Sitten. Ich denke an meinen jetzigen Zustand, da ich hier sitze, den Bauch wohl gefüllt, einen Beutel voll Gold in der Tasche, im Kreise meiner guten Gefährten, und das läßt mich über das rasche und stetige Auf und Ab des Lebens nachgrübeln und darüber, wie rasch Augenblikke wie dieser vergehen. Nun weißt du den Grund für meine Melancholie.«
»Das ist deutlich genug«, sagte Aillas. »Ich für mein Teil bin froh, daß wir hier sitzen und nicht draußen im Regen, aber ich bin niemals frei von dem Zorn, der in meinen Knochen schwelt. Vielleicht wird er mich niemals verlassen, trotz aller Rache.«
»Du bist noch jung«, sagte Cargus. »Du wirst beizeiten ruhig werden.«
»Dazu vermag ich nichts zu sagen. Rachsucht mag vielleicht eine niedere Regung sein, aber ich werde nicht ruhen, bis ich bestimmte Taten, die mir angetan wurden, vergolten habe.«
»Du wärst mir wahrlich viel lieber als Freund denn als Feind«, sagte Cargus.
Die beiden Männer fielen in Schweigen. Der Herr in Umbra und Blau, der die ganze Zeit still am Nebentisch gesessen hatte, stand auf und trat zu Aillas. »Herr, ich bemerke, daß Ihr und Eure Gefährten euch wie Herren von Stand benehmt, die ihr Vergnügen mit Maß und Würde zu genießen wissen. Erlaubt mir daher, eine wahrscheinlich überflüssige Warnung zu äußern.«
»So sprecht.«
»Die zwei Mädchen dort drüben harren geduldig. Sie sind nicht so spröde, wie sie aussehen. Wenn Ihr aufsteht, um Euch auf Euer Zimmer zurückzuziehen, wird die ältere sich Euch in intimer Absicht nähern. Und während Ihr Euch dann an ihren mageren Reizen ergötzt, plündert die andere Eure Börse. Die Beute teilen sie mit dem Wirt.«
»Unglaublich! Sie sind so klein und dünn!«
Der Herr lächelte traurig. »Das dachte ich auch, alsich zuletzt hier dem Weine im Übermaß zusprach. Gute Nacht, Herr.«
Der Herr ging fort in seine Kammer. Aillas teilte seinen Gefährten das soeben Erfahrene mit. Die beiden Mädchen zogen
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