Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
Mann in der vordersten Reihe. »Wer von euch ist der Führer? Zeige ihn mir.«
»Der Kapitän ist tot. Wir sind alle ›tot‹. Es gibt keinen Führer mehr, und es gibt kein Leben mehr.«
»Ihr erscheint mir aber recht lebendig«, erwiderte Casmir mit einem kalten Lächeln.
»Wir betrachten uns als Tote.«
»Weil ihr erwartet, daß wir euch töten? Angenommen, ich würde euch gegen ein Lösegeld freilassen.«
»Wer würde Lösegeld für einen Toten zahlen?«
König Casmir machte eine ungeduldige Handbewegung. »Ich will Informationen, kein hohles, verdrehtes Geschwätz.« Er musterte die Gruppe und glaubte in einem Mann, der ein wenig älter war als die anderen, den Anschein von Autorität zu entdekken. »Du bleibst hier.« Er gab den Wachen ein Zeichen. König Casmir nahm den Mann, den er ausgewählt hatte, beiseite. »Bist du auch ›tot‹?«
»Ich weile nicht mehr unter den lebenden Ska. Für meine Familie, meine Kameraden und mich selbst bin ich tot.«
»Beantworte mir eine Frage: Angenommen, ich hätte den Wunsch, mit eurem König zu verhandeln. Würde er nach Lyonesse kommen, wenn ich ihm freies Geleit zusicherte?«
»Natürlich nicht.« Der Ska schien belustigt.
»Angenommen, ich hätte den Wunsch, die Möglichkeit eines Bündnisses auszuloten?«
»Zu welchem Zweck?«
»Die Seestreitmacht der Ska und die sieben Armeen Lyonesses wären gemeinsam unbesiegbar.«
»›Unbesiegbar‹? Von wem?«
König Casmir haßte jeden, der sich mehr Scharfsinn als er selbst anmaßte. »Von allen anderen von den Älteren Inseln! Von wem sonst?«
»Ihr bildet Euch ein, die Ska würden Euch gegen Eure Feinde helfen? Der Gedanke ist absurd. Wenn ich noch am Leben wäre, würde ich lachen. Die Ska liegen im Krieg mit der ganzen Welt, einschließlich Lyonesse.«
»Das ist keine Rechtfertigung. Ich werde dich als der Piraterie für schuldig erklären.«
Der Ska blickte hinauf zur Sonne und ließ dann seinen Blick über den Himmel und die See schweifen. »Tut was Ihr wollt. Wir sind schon tot.«
König Casmir lächelte grimmig. »Tot oder nicht, euer Schicksal soll dazu dienen, andere Mörder abzuschrecken, und es soll morgen mittag geschehen.«
Entlang der Buhne wurden neunzehn Holzgestelle errichtet. Die Nacht verging, der Morgen kam klar und strahlend. Zum Mittag hin hatte sich eine große Menschenmenge längs des Chale versammelt, einschließlich zahlreicher Schaulustiger aus den Küstendörfern: Bauern in sauberen Kitteln und mit Glokkenhüten auf dem Kopf, Wurstverkäufer und andere, die getrockneten Fisch feilhielten. Auf den Felsen westlich des Chale krochen Krüppel, Aussätzige und die Schwachsinnigen, entsprechend den Gesetzen von Lyonesse.
Die Sonne erreichte den Zenit. Die Ska wurden aus der Festung geholt. Sie wurden einzeln nackt auf ein Gestell gespannt und mit dem Kopf nach unten aufgehängt, das Gesicht zum Meer hin. Vom Peinhador kam Zerling, der Oberste Henker. Er schritt langsam die Reihe der Delinquenten ab, blieb vor jedem stehen, schlitzte ihm den Unterleib auf, zerrte die Eingeweide mit einem zwiefach gezinkten Haken heraus, so daß sie über die Brust und den Kopf fielen, und ging dann weiter zum nächsten. Eine schwarzgelbe Flagge wurde am Eingang zum Hafen hochgezogen, und die Sterbenden wurden allein ihrem Schicksal überlassen.
Dame Maugelin zog sich eine bestickte Haube über den Kopf und ging hinunter zum Chale. Suldrun dachte schon, sie hätte vielleicht die Gelegenheit, ein wenig für sich zu sein, doch dann kam Dame Boudetta und nahm sie mit auf den Balkon vom Schlafgemach der Königin, auf dem sich die Damen des Hofes versammelten, um der Exekution beizuwohnen. Als der Mittag kam, verstummten die Gespräche, und alles drängte sich an die Balustrade, um eine möglichst gute Sicht auf das Hinrichtungsspektakel zu haben. Als Zerling seiner blutigen Pflicht nachkam, seufzten die Damen und gaben murmelnde Laute von sich. Suldrun wurde an die Balustrade gehoben, um besser Zeuge des Loses werden zu können, welches Gesetzesbrechern zugedacht war. Mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu verfolgte sie, wie Zerling von Mann zu Mann ging, aber die Entfernung verbarg die Einzelheiten seiner Arbeit.
Nur wenige der anwesenden Damen hatten nichts an dem Ereignis zu mäkeln. Lady Duisane und Lady Ermoly, die beide an Kurzsichtigkeit litten, fanden die Entfernung zu groß. Lady Spaneis erklärte das Ereignis schlicht für langweilig. »Es war, als arbeite ein Fleischhauer an toten
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