Lyonesse 2 - Die grüne Perle
eine, die auf Bäume klettert und bei den Eulen auf den Ästen hockt? Oder wie ein Wildfang durch die Wälder streift?«
»Ich würde einer solchen Prinzessin gern begegnen«, versetzte Glyneth. »Sie wäre mir eine herrliche Gefährtin, denn wir beide hätten genau den gleichen Geschmack.«
»Ich bezweifle, daß zwei von dieser Sorte existieren«, erklärte Dame Flora. »Es wird Zeit, daß die hier zugegene Prinzessin lernt, was sich schickt, damit sie sich später bei Hof keine Schande macht.«
»Dame Flora, hab Mitleid! Würfest du mich hinaus, in Kälte und Regen vielleicht, nur weil ich keine gerade Naht zustande bringe?«
»Niemals, mein Liebling! Aber wir müssen gehorchen, wir müssen lernen, wir müssen dem Diktat der Etikette folgen. Du hast jetzt ein Alter erreicht, da gewisse körperliche Attribute zum Beispiel Hosen zu einem höchst ungeeigneten Kleidungsstück werden lassen. Wir müssen dir eine Garderobe aus hübschen Kleidern zusammenstellen.«
»Aber wir müssen doch auch praktisch denken! Wie soll ich in einem hübschen Kleid über einen Zaun springen? Das frage dich!«
»Es ist nicht nötig, daß du über Zäune springst. Ich springe ja auch nicht über Zäune. Lady Vaudris von Hanch Hall springt nicht über Zäune. Nicht mehr lange, und Freier von hohem Rang werden zu Dutzenden herkommen und um deine Hand anhalten. Und wenn sie dir dann ihre Aufwartung machen wollen und nach dir fragen, so muß ich sagen: ›Ihr werdet sie irgendwo auf dem Besitz finden, hier oder dort.‹ Dann gehen sie dich suchen, und was werden sie denken, wenn sie dich finden und du baumelst an einem Baum oder fängst Frösche im Burggraben?«
»Dann werden sie denken, daß sie mich nicht heiraten wollen, und das ist mir ganz recht so.«
Darauf holte Dame Flora zu einem Klaps auf Glyneths Hinterteil aus, aber Glyneth sprang gewandt beiseite. »Das ist die Kunst der Behendigkeit.«
»Schamlose kleine Dirne, es wird ein böses Ende nehmen mit dir!« Flora sprach ohne Hitze; tatsächlich grinste sie bei sich. Und gleich darauf reichte sie Glyneth als besonderen Leckerbissen einen Teller mit Zitronenkuchen.
Glyneth trug ihr goldenes Lockenhaar offen oder mit einem schwarzen Band zusammengebunden. Scheinbar ohne Arg, trieb sie doch manchmal ein Spiel von milder Tändelei; sie spielte es, wie wohl ein Kätzchen ein Raubtier des Dschungels spielen möchte. Oft benutzte sie da Aillas als Gegenstand ihres Experimentierens, bis Aillas sich – zähneknirschend und die Augen zum Himmel verdreht – mit purer Willenskraft von diesem Spiel abwandte, auf daß es nicht in Bezirke gelange, wo die Beziehung zwischen ihnen beiden sich unwiderruflich ändern würde.
Manchmal, wenn er nachts im Bette lag, fragte er sich, was in Glyneths Kopf vorging und wie ernst ihr diese Spiele wohl sein mochten. Und stets erhoben sich bei dieser Gelegenheit andere Bilder, die ihn beunruhigten.
Dies aber waren nicht mehr ermüdende Erinnerungen an den geheimen Garten zu Haidion. Suldrun war längst eine nebelhafte Gestalt geworden, verflogen und verflossen in den Abgründen der Zeit. Es war eine andere, lebendigere Gestalt, die da durch Aillas' Gedanken wanderte. Ihr Name war Tatzel; sie war eine Ska, und sie wohnte auf Burg Sank in Nord-Ulfland. Tatzel war einzigartig. Sie war schlank wie ein Stab, und dunkles Haar hing ihr lose über die Ohren; wie alle Ska hatte sie olivfarbene Haut, und in ihren Augen glomm Intelligenz. Meistens, wenn Aillas sie gesehen hatte, war sie durch die mittlere Galerie der Burg geschritten, ohne nach links oder nach rechts zu schauen. Von Aillas hatte sie keine Notiz genommen; als Sklave hatte er für sie weniger Bedeutung als ein Stuhl.
Aillas hätte nicht leicht zu sagen gewußt, was er für Tatzel empfand. Er fühlte sich verärgert und herausgefordert, was an seinem verletzten Selbstwertgefühl lag, aber er spürte auch noch etwas anderes, ein feines Sehnen, das ihm seltsame leise Stiche versetzte, wann immer sie an ihm vorüberging, ohne ihn zu sehen; er wollte dann vortreten, so daß sie stehenbleiben und ihn wahrnehmen, ihm in die Augen schauen und von seinem eigenen stolzen Wesen Notiz nehmen mußte. Niemals hätte er wagen dürfen, sie anzurühren; sie hätte sofort nach der Wache gerufen, und Aillas wäre in Ungnade fortgeschleppt, vielleicht gar auf das Entmannungsbrett geworfen worden, und dann hätte ihn eine Zukunft erwartet, vor deren Schrecken sich die Vorstellungskraft sträubte – für alle Zeit bar
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