Lyonesse 2 - Die grüne Perle
seiner Manneskraft wie auch jeglicher Hoffnung auf Tatzels gute Meinung.
Als Aillas schließlich zusammen mit Cargus und Yane aus Burg Sank entkommen war, hatte er sich umgewandt und zurückblickend gemurmelt: »Tatzel, gib nur acht! Eines Tages sehen wir uns wieder, doch dann vielleicht unter anderen Bedingungen!« Und so kam es, daß dieses Phantom in Aillas' Gedanken spukte.
II
Aillas und Tristano verbrachten die Nacht im Hafen zu Hag; gegen Mittag setzten sie bei der Grünmannsförde über, und am späten Nachmittag ritten sie polternd über die Zugbrücke und in den Stallfog von Watershade. Dhrun und Glyneth kamen herausgestürmt, um sie zu begrüßen; Weare, Flora und andere Bedienstete des Haushalts folgten ihnen, während Shimrod 3 im Schatten des Bogenganges wartete, der zur Terrasse hinausführte.
Die Reisenden zogen sich in ihre Gemächer zurück, um sich zu erfrischen, und dann kamen sie auf die Terrasse hinunter, wo Weare ihnen zum Abendessen das Beste auftischte, was seine Speisekammer hergeben wollte. Die Gesellschaft saß noch da, als die untergehende Sonne längst verglüht und die Dämmerung zur Nacht geworden war.
Tristano erzählte von der grünen Perle und ihrer unheimlichen Wirkung. »Ich weiß mir die Macht dieses Kleinods nicht zu erklären. Es sah aus wie eine echte Perle, bis auf die Farbe: Sie war grün wie die See. Shimrod, was sagst du dazu?«
»Ich muß beschämt zugeben, daß es im Reich der Magie für mich weit mehr Unbekanntes als Bekanntes gibt. Über eine grüne Perle weiß ich nichts zu sagen.«
»Vielleicht war es der Hirnstein eines Dämons«, überlegte Glyneth. »Oder das Ei eines Goblins.«
»Oder ein Basiliskenauge«, schlug Dhrun vor.
»Hier gibt es eine wertvolle Lektion zu lernen«, meinte Glyneth versonnen. »Sagen wir, für einen heranwachsenden Jüngling wie Dhrun. Niemals sollst du etwas Wertvolles stehlen oder rauben, schon gar nicht, wenn es grün ist.«
»Ein guter Rat«, befand Tristano. »In Fällen dieser Art ist Ehrlichkeit die beste Politik.«
»Du hast mir Angst und Schrecken eingejagt«, gestand Dhrun. »Ich werde sofort aufhören zu stehlen.«
»Es sei denn, es ginge um etwas Hübsches für mich«, sagte Glyneth. Heute abend – vielleicht um Dame Flora eine Freude zu machen – trug sie ein weißes Kleid und ein silbernes, mit weißen Gänseblümchen durchflochtenes Haarnetz; sie bot ein bezauberndes Bild, für das Tristano keineswegs unempfänglich war.
»Ich zumindest habe mich beispielhaft verhalten«, behauptete er. »Ich habe die Perle nur zum Wohle der Öffentlichkeit an mich genommen und sie bereitwillig jemandem überlassen, der weniger glücklich geboren war als ich.«
»Hier sprichst du, denke ich, von dem Hund«, sagte Dhrun. »Denn von des Räubers Abstammung wissen wir ja nichts.«
»Aber wie du den Hund behandelt hast, das war wirklich herzlos«, tadelte Glyneth. »Shimrod hättest du die Perle bringen sollen.«
»Und sie mir in einer Wurst zur Speise geben?« wandte Shimrod ein. »Anders ist es mir lieber.«
»Armer Shimrod!« murmelte Aillas. »Schaum vor dem Maul, jagt er in vollem Galopp die Straße herunter und hält nur inne, um diesen und jenen zu beißen.«
»Shimrod hätte sich dieses Gegenstandes ordnungsgemäß entledigen können«, versetzte Glyneth würdevoll. »Dem Hund ermangelt es an der nötigen Zuständigkeit.«
»Jetzt sehe ich meinen Fehler ja ein«, antwortete Sir Tristano. »Als dieser Hund nach den Fesseln meines Pferdes schnappte, da hatte ich, wie ich gestehen muß, keinerlei zärtliche Empfindungen für die Bestie. Ich handelte daher auf einen Impuls hin, den ich auf der Stelle bedauerte, zumal als ich sah, in welch unansehnlichem Zustand sich die Kreatur befand.«
»Ich verstehe nicht ganz«, sagte Glyneth. »Du hast deine Grausamkeit auf der Stelle bereut?«
»Nun, nicht ganz. Erinnere dich, daß ich den Hund mit einer Wurst für das Risiko entschädigt habe.«
»Warum dann aber?«
Tristano flatterte geziert mit den Fingern. »Da du mich so bedrängst, will ich es erläutern, und zwar so zartfühlend wie möglich. Um die Mitternacht des Tages zuvor war mir die Perle schon einmal auf gespenstische Weise zurückerstattet worden. Als ich nun den toten Hund betrachtete, dachte ich zuerst daran, möglichst rasch zu verschwinden und den Hund liegenzulassen. Aber dann mußte ich an die kommende Nacht denken – vor allem an die Stunde der Mitternacht, da ich schlafen würde. Um diese Stunde
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