Lyonesse 3 - Madouc
überdrüssig. Wir trugen uns mit der Absicht, eine oder zwei Stunden unseren Illusionen nachzuspüren.«
»Das muß warten, bis ihr eure Arbeit getan habt. Begebt euch schnurstracks zur Stadt Doun Darric, die nordwestlich von hier gelegen ist. Sucht König Aillas auf und überbringt ihm unverzüglich die folgende Nachricht ...«
4
Am späten Nachmittag trieben Regenschleier die Dagach-Schlucht herauf und erreichten alsbald die Neep-Wiese. Cory und seine Mannen versammelten sich in der großen Halle der alten Burg, wo Flammen hoch im Kamin loderten und rötlich flackerndes Licht gegen die Wände warfen. Sie bekamen eine Abendmahlzeit aus Brot, Käse, Wildeintopf und herbem Rotwein, der ihnen in einem ledernen Schlauch dargereicht wurde.
Nach dem Essen wurde die Gruppe unruhig. Galgus holte seine Würfel hervor, aber niemand hatte Lust zu spielen. Kegan schaute aus purer Langeweile in eine verstaubte Kammer unter der alten Treppe, wo er unter dem Gerümpel von unzähligen Jahren einen Schrank aus ausgedörrtem Holz fand. Er räumte das Gerümpel beiseite und öffnete die verzogenen Türen, aber in dem trüben Licht sah er lediglich leere Fächer. Als er sich umwandte, fiel sein Blick auf einen Gegenstand an der Rückwand des untersten Fachs. Er langte hinunter und zog eine längliche Dose hervor. Die Dose war groß und schwer und aus Zedernkernholz zusammengefügt.
Kegan trug die Dose zu dem Tisch vor dem Feuer und brach unter den neugierigen Blicken seiner Spießgesellen den Deckel auf. Alle Augen spähten hinunter auf den Gegenstand, der im Innern der Dose ruhte: ein sorgfältig geschnitztes Fabrikat aus Specksteinblöcken und anderen Stücken, schwarz angemalt und besetzt mit hundert kunstvollen Verzierungen aus Onyx, Gagat und Achat. Cory trat zu ihnen. »Das ist ein kleiner Katafalk im Stil von ehedem – eine Miniatur oder ein Modell oder vielleicht ein Spielzeug.« Er streckte die Hand aus, den Gegenstand aus der Dose zu heben, aber Kegan hielt seinen Arm zurück. »Halt! Es könnte ein Zauberding sein oder ein verwunschener Gegenstand! Besser, niemand rührt es an!«
Torqual trat jetzt in die Halle, gefolgt von einer schlanken, dunkelhaarigen Frau von äußerster Schönheit.
Cory lenkte Torquals Aufmerksamkeit auf den Miniaturkatafalk. »Was weißt du darüber? Kegan fand es unter der Treppe.«
Torqual spähte stirnrunzelnd in die Dose. »Es sagt mir nichts.«
Este erklärte: »In einem feinen Haus in Rom könnte dieser Gegenstand durchaus als stilvolles Salznäpfchen benützt werden.«
»Es könnte auch ein Schrein für jemandes Lieblingskatze sein«, erwog Galgus, der Daut. »In Falu Ffail kleidet König Audry seine Wachtelhunde in Hosen aus purpurnem Sammet.«
»Tut ihn weg«, sagte Torqual brüsk. »Von solchen Dingen läßt man am besten die Finger.« Er wandte sich der Frau zu. »Melancthe, dies ist Cory von Falonges, und dies sind seine Gefährten. Ich habe ihre Namen vergessen, aber der hier ist ein Hunne, der dort ein Römer, dieser hier ist ein Kelte, und jener dort ist ein Daut, und jene Kreatur da – halb Falke, halb Wolf – behauptet, ein Daker zu sein. Was ist deine Ansicht von der Gruppe? Scheue dich nicht, offen deine Meinung auszusprechen; sie sind bar jeglicher Illusionen.«
»Sie interessieren mich nicht.« Melancthe setzte sich allein ans Ende des Tisches und starrte ins Feuer.
Travec flüsterte: »Voner! Was seht Ihr?«
»Es ist Grünes in der Frau. Eine Ranke berührt sie; sie huscht so jäh und geschwind, daß ich ihr nicht nachspüren kann.«
»Was bedeutet das? Ist sie ein Kraftknoten?«
»Sie ist eine Hülse.«
Travec beobachtete sie einen Moment. Sie hob den Kopf und blickte mit gerunzelter Stirn durch den Raum. Travec wandte den Blick ab. Er wisperte: »Was nun? Hat sie meine Gegenwart erspürt?«
»Sie empfindet Unbehagen, aber sie weiß nicht, warum. Starrt sie nicht an.«
»Warum nicht?« murmelte Travec. »Alle andern tun das auch. Sie ist die schönste Frau von der Welt.«
»Von solchen Dingen verstehe ich nichts.«
Einen Moment später erhob sich Melancthe und verließ den Raum. Torqual und Cory besprachen sich eine halbe Stunde lang abseits von den andern, dann schied auch Torqual.
»Was nun?« frug Galgus. »Zum Schlafengehen ist es zu früh, und der Wein schmeckt abscheulich. Wer will ein Spielchen mit mir wagen?«
Este war aufgestanden, einen Blick in die Zedernholzdose zu werfen. »Viel spannender ist: wer will den Deckel dieses
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