Lyonesse 3 - Madouc
nur Leere. Von Panik ergriffen, stieß sie mit dem Kieselnach den tastenden Händen, aber die Ärmel des Umhangs vereitelten ihre Bemühung. Der Schatten wischte ihren Arm zur Seite und drückte sie zu Boden; der Kiesel entglitt ihrer Hand und kullerte weg. Madouc stieß einen leisen Schrei der Verzweiflung aus und lag für einen Moment kraftlos am Boden; es war fast ihr Verderben. Doch dann, mit einer Kraft, die aus Verzweiflung geboren war, wand sie sich frei und tastete nach dem Kiesel. Der Schatten packte ihr Bein. »Warum so feurig und zapplig? Beruhige dich und lieg still! Sonst wird der Akt gar zu mühselig!«
»Einen Moment!« keuchte Madouc. »Der Akt schreitet schon jetzt viel zu hurtig voran!«
»Nun lieg still, damit wir zügig zu Werke gehen können!«
Madoucs Finger schlossen sich um den Kiesel. Sie stieß ihn in den schwarzen Schatten und berührte die Kreatur an einem ihrer Körperteile. Sofort erschlaffte sie.
Madouc raffte sich erleichtert auf. Sie strich ihr Gewand glatt und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, dann blickte sie hinunter auf die schlaffe Gestalt. »Erhebe dich; folge mir!«
Sie führte die willenlose Kreatur in das Nebenzimmer des Zeltes, wo Nisby und Sir Jaucinet saßen und ins Nichts starrten. »Tritt ein; setz dich; rühre dich nicht vom Fleck, bevor ich es dir befehle!«
Madouc verharrte einen Moment lang im Mondlicht und schaute zur Kreuzung. Sie sagte bei sich: »Ich habe die drei in meine Gewalt gebracht, aber nun habe ich fast Angst, die Wahrheit zu erfahren. Sir Jaucinet scheint der Edelste zu sein, wohingegen der Schatten der Geheimnisvollste ist. Für Nisby spricht wenig, abgesehen von seiner bäuerlichen Schlichtheit.«
Der Blendzauber fiel ihr ein. »Offenbar macht er mich auffälliger, als mir lieb ist; fürs erste habe ich genug davon.« Mit den Fingern der linken Hand zwickte sie sich ins rechte Ohrläppchen. »Ist er weg?« fragte sie sich. »Ich spüre keine Veränderung in mir.« Als sie das Zelt betrat, verriet ihr jedoch der Gesichtsausdruck von Sir Pom-Pom und Travante, daß der Blendzauber von ihr gegangen war, was ihr einen schmerzhaften, wenngleich unlogischen kleinen Stich versetzte.
5
Am Morgen frühstückten Madouc, Sir Pom-Pom und Travante im Zelt. Man hielt es für das Beste, weder Nisby noch Sir Jaucinet zwecks Einnahme von Nahrung aus ihrer Starre zu wecken, war es doch zweifelhaft, daß sie überhaupt Hunger verspürten. Die gleichen Erwägungen trafen auf noch überzeugendere Weise auf die Schattengestalt im schwarzen Umhang zu, die bei Tageslicht ebenso bizarr und unbegreiflich anmutete wie bei Nacht. Unter der breiten Krempe ihres Hutes tat sich eine Leere auf, in die keiner einen allzu tiefen Blick werfen mochte.
Nach dem Frühstück bugsierte Madouc Nisby, Sir Jaucinet und das namenlose Schattenwesen hinaus auf den Pfad. Sir Jaucinets Roß hatte sich in der Nacht losgerissen und war nirgends zu sehen.
Madouc ließ das Zelt wieder zum Schnupftuch schrumpfen; die Gruppe machte sich auf den Weg, den Wamble-Pfad hinunter nach Süden. Sir Pom-Pom und Travante schritten vorneweg, dahinter ging Madouc, gefolgt von Nisby, Sir Jaucinet und dem schattenhaften Individuum im schwarzen Umhang.
Kurz vor Mittag erreichte die Gruppe die Madling-Wiese, die jetzt wieder eine gewöhnliche Grasfläche mit einem Hügel in der Mitte war. Madouc rief leise: »Twisk! Twisk! Twisk!«
Dämpfe und Dünste ließen ihre Sicht verschwimmen; als sie sich wieder verzogen, erhob sich vor ihren Augen die fahnengeschmückte, vieltürmige Elfenburg. Der Festschmuck aus Anlaß von Falaels Rehabilitierung war entfernt worden; Falael selbst hatte seinen Pfosten für den Moment verlassen und saß unter einer Birke am Rande der Wiese, wo er sich mit einem Zweig die unzugänglichen Stellen seines Rückens kratzte.
Twisk tauchte neben Madouc auf; heute trug sie hellblaue, tief auf den Hüften sitzende Pumphosen und ein Hemd aus weißem Flor.»Du hast keine Zeit verschwendet«, sagte Twisk. Sie musterte Madoucs Gefangene. »Wie der Anblick jener drei meine Erinnerung wiederaufleben macht! Aber sie haben sich verändert! Nisby ist zum Manne gereift; Sir Jaucinet scheint sich dem wehmütigen Schmachten hingegeben zu haben.«
Madouc sagte: »Dieser Eindruck rührt von dem kummervollen Blick seiner Augen und den welk herabhängenden Schnurrbartenden her.«
Twisk wandte den Blick von dem dritten Mitglied der Gruppe ab. »Was jene seltsame Kreatur dort anbelangt, so
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