Lyonesse 3 - Madouc
jüngst in Mode gekommen war. Abends bevorzugten sie Spiele anderer Art, welche sie im Verein mit gewissen fröhlichen Mädchen aus dem Orte ausübten. Als Treffpunkt für ihre munteren Zusammenkünfte benützten sie eine herrenlose Wildhüterkate.
Auch Prinzessin Madouc fand Gefallen an dem sommerlichen Umzug nach Sarris, der sie, wenn schon sonst nichts, von der Gegenwart ihrer sechs Zofen befreite.
Ihr Pony Tyfer und der Stallknecht Pymfyd standen ihr zur Verfügung, und so ritt sie jeden Tag fröhlich aus. Nicht alle Umstände indessen waren glücklich: man erwartete von ihr, daß sie sich in einer Weise betrug, die ihrem Stand entsprach. Madouc jedoch scherte sich wenig um die Vorschriften, die Lady Desdea ihr auferlegte, und zog es vor, ihren eigenen Neigungen zu folgen.
Lady Desdea nahm Madouc schließlich beiseite, um ernste Worte mit ihr zu reden. »Meine Teure, es wird höchste Zeit, daß die Realität in Euer Leben tritt!
Ihr müßt die Tatsache akzeptieren, daß Ihr die Prinzessin Madouc von Lyonesse seid und nicht irgendein gemeines wildes Bauernmädel, das weder Rang noch Verantwortung hat!«
»Sehr wohl, Lady Desdea; ich werde daran denken. Kann ich jetzt gehen?«
»Noch nicht; ich habe noch gar nicht richtig angefangen. Ich versuche Euch zu Bewußtsein zu bringen, daß jede Eurer Handlungen nicht nur auf Euren eigenen Ruf und den der königlichen Familie zurückwirkt, sondern auf den Ruf und die Ehre des ganzen Königreichs! Seid Ihr Euch über die ungeheuerliche Tragweite dessen im klaren?«
»Ja, Lady Desdea. Und dennoch ...«
»Und dennoch – was?«
»Niemand außer Euch scheint mein Verhalten zu beachten. Es macht also letztendlich nicht viel aus, wie ich mich betrage, und das Königreich ist nicht in Gefahr.«
»Es macht sehr viel aus!« fuhr Lady Desdea sie an. »Schlechte Angewohnheiten sind leicht zu lernen und schwer zu vergessen! Ihr müßt die anmutigen und guten Gewohnheiten lernen, die bewirken, daß man Euch bewundert und Euch Hochachtung zollt!«
Madouc bemerkte skeptisch: »Ich glaube nicht, daß irgend jemand jemals meine Handarbeiten bewundern oder meinen Tanzkünsten Hochachtung zollen wird.«
»Gleichviel – dies sind Fertigkeiten und Schicklichkeiten, die Ihr erlernen müßt! Die Zeit rückt vor; die Tage vergehen; die Monate werden zu Jahren, ohne daß Ihr es bemerkt. Nicht mehr lange, und es wird die Rede von Verlöbnissen sein, und dann werdet Ihr und Euer Betragen Gegenstand peinlichster Prüfung und sorgfältigster Analyse sein.«
Madouc schnitt eine verächtliche Grimasse. »Wenn irgend jemand mich prüft, dann wird er keine Analyse mehr brauchen, um herauszufinden, was ich von ihm denke.«
»Meine Liebe, das ist nicht die richtige Einstellung.«
»Egal; ich will nichts mit solchen Dingen zu tun haben. Sollen sie doch woanders nach ihren Verlöbnissen Ausschau halten.«
Lady Desdea lachte grimmig in sich hinein. »Seid da mal nicht zu sicher; bestimmt werdet Ihr Eure Meinung ändern. Wie auch immer, ich erwarte, daß Ihr anfangt, Euch schicklich zu führen.«
»Das wäre bloß Zeitverschwendung.«
»Tatsächlich? Dann bedenkt einmal folgenden Fall: Ein edler Prinz kommt nach Lyonesse, von der Hoffnung erfüllt, dortselbst eine Prinzessin hold und rein zu finden, eine Maid von Liebreiz und Zartheit. Er fragt: ›Und wo ist die Prinzessin Madouc, die, so erwarte ich, schön und freundlich und gut ist?‹ Und zur Antwort deuten sie aus dem Fenster und sagen: ›Dort geht sie!‹ Er schaut aus dem Fenster und sieht Euch draußen vorbeitollen, mit wirrem Haar und all dem Liebreiz und der Anmut einer Höllenfurie! Was dann?«
»Wenn der Prinz gescheit ist, wird er sich sein Pferd bringen lassen und sofort davonsprengen.« Madouc sprang auf. »Seid Ihr nun endlich fertig? Wenn ja, dann möchte ich gerne gehen.«
»Geht.«
Lady Desdea saß zehn Minuten lang still und steif da. Dann sprang sie jählings auf und marschierte spornstreichs zum Boudoir der Königin. Sollace saß auf einem Stuhl und hielt die Hände in einen Brei aus gemahlener Kreide und Wolfsmilch getunkt, eine Prozedur, von welcher sie sich Linderung für ihre vom Landwasser vermeintlich angegriffenen Hände versprach.
Königin Sollace blickte von dem Breibecken auf. »Oho, Ottile! Was machst du für ein Gesicht! Ist es Verzweiflung oder Kummer oder schlichtes Bauchgrimmen?«
»Ihr mißdeutet meine Stimmung; Eure Hoheit! Ich habe gerade mit Prinzessin Madouc gesprochen, und nun muß ich eine
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