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Lyonesse 3 - Madouc

Titel: Lyonesse 3 - Madouc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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Minuten vergingen. Madouc wartete; sie wagte kaum zu atmen. Sie hörte Schritte; Ossip und Sammikin tappten blindlings an ihr vorbei. Madouc schloß die Augen, aus Furcht, die beiden könnten ihren Blick spüren und innehalten.
    Ossip und Sammikin blieben nur kurz stehen und spähten wütend über die Lichtung. Sammikin vernahm in der Ferne ein Geräusch, deutete mit dem Finger in die Richtung und stieß einen kehligen Schrei aus; die zwei rannten weiter, in die Tiefe des Waldes hinein. Das Geräusch ihrer Schritte wurde leiser und verlor sich schließlich in der Stille.
    Madouc verharrte geduckt in ihrem Versteck. Sie stellte fest, daß ihr warm und behaglich wurde; ihre Lider fielen zu; gegen ihre Absicht begann sie zu dösen.
    Zeit verstrich – wieviel? Fünf Minuten? Eine halbe Stunde? Madouc erwachte, und nun fühlte sie sich verkrampft. Vorsichtig begann sie sich aus dem Versteck zu befreien. Sie hielt jäh inne, stutzte. Was war das für ein Geräusch, das sie da vernahm, so leise und hell? War es Musik?
    Madouc lauschte gebannt. Die Laute schienen von einer nicht allzu fernen Quelle zu kommen, die jedoch durch das Blattwerk des Fingerhuts vor ihrem Blick verborgen war.
    Madouc kauerte unschlüssig, halb in ihrem Versteck, halb draußen. Die Musik schien unkünstlerisch und einfach, ja sogar fast ein wenig frivol, mit wunderlichen kleinen Trillern und Tremoli. Solch eine Musik, dachte Madouc, konnte kaum von Bedrohlichem oder Bösem herrühren. Sie hob den Kopf und spähte durch den Fingerhut. Es wäre peinlich, in solch einer würdelosen Pose entdeckt zu werden. Sie nahm ihren Mut zusammen und stand auf. Ihre Haare ordnend und welkes Laub von ihren Kleidern klopfend, schaute sie sich auf der Lichtung um.
    Zwanzig Fuß von ihr entfernt saß auf einem glatten Stein ein kleines Wesen, kaum größer als sie selbst, mit klugen meergrünen Augen, haselnußbrauner Haut und Haaren von ebensolcher Farbe. Es trug einen Anzug aus feinem braunen Stoff mit blauen und roten Streifen, eine schmucke kleine blaue Mütze mit einem Busch aus Amselfedern und Schuhe mit langen Spitzen. In einer Hand hielt es eine hölzerne Spieldose, aus der zwei Dutzend kleine Metallzungen hervorschauten; indem es die Zungen anschlug, erklang Musik aus der Dose.
    Als das Wesen Madoucs ansichtig wurde, ließ es von seinem Spielen ab. Es fragte mit piepsender Fistelstimme: »Warum schläfst du, wo der Tag doch noch so jung ist? Schlafenszeit ist zu den Stunden, da die Eule wacht.«
    Madouc erwiderte mit ihrer freundlichsten Stimme: »Ich schlief, weil der Schlummer mich überkam.«
    »Ich verstehe – zumindest besser, als ich es zuvor tat. Warum starrst du mich so an? Vor staunender Bewunderung, darf ich wohl annehmen?«
    Madouc antwortete taktvoll: »Teils aus Bewunderung und teils, weil ich selten mit Elfen spreche.«
    Das Wesen sagte in mürrischem Ton: »Ich bin kein Elf, sondern ein Wefkin. Die Unterschiede sind offensichtlich.«
    »Nicht für mich. Wenigstens nicht gänzlich.«
    »Wefkine sind von Natur aus ruhig und gesetzt; wir sind einsiedlerische Philosophen, sozusagen. Ferner sind wir ein galantes Volk, stolz und schön, welches zu Amouren sowohl mit Sterblichen als auch mit anderen Halblingen neigt. Wir sind wahrhaft prächtige Wesen.«
    »Soviel ist nunmehr klar«, sagte Madouc. »Und was ist mit den Elfen?«
    Der Wefkin machte eine verächtliche Geste. »Ein unstetes Volk, das sowohl zu Unberechenbarkeit neigt als auch dazu, vier Gedanken auf einmal zu denken. Sie sind gesellige Wesen und bedürfen der Gesellschaft von ihresgleichen; sonst verschmachten sie. Sie schwatzen und kichern; sie sind eingebildet und geziert; sie stürzen sich in grandiose Leidenschaften, die sie nach zwanzig Minuten langweilen; extravagante Unmäßigkeit ist ihre Parole! Wefkine sind Paladine der Tapferkeit und des Heldenmuts; die Elfen tun Taten von widerlicher Verdrehtheit. Hat deine Mutter dir diese Unterschiede nicht erklärt?«
    »Meine Mutter hat mir gar nichts erklärt. Sie ist schon lange tot.«
    »›Tot‹? Was ist das nun wieder?«
    »Sie ist mausetot, und ich kann nicht umhin, das rücksichtslos von ihr zu finden.«
    Der Wefkin zwinkerte mit seinen grünen Augen und spielte einen schwermütigen Triller auf seiner Musikdose. »Das ist eine traurige Nachricht, und ich bin doppelt überrascht, da ich doch erst vor vierzehn Tagen mit ihr sprach, als sie all ihren üblichen Schwung zeigte – von dem, darf ich sagen, du deinen vollen und gerechten

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