Lyonesse 3 - Madouc
müssen!«
»›Still‹ heißt die Parole!« rief Sammikin. »Es wird bald vorüber sein, und dann wirst du es sehr still finden, so hab ich vernommen.«
»So hab ich's auch gehört!« stimmte Ossip ihm zu. »Steh still und weine nicht; ich kann heulende Kinder nicht ausstehen!«
Madouc blickte verzweifelt umher, nach einer Lükke oder einer flachen Stelle suchend, über die Tyfer vielleicht hinwegspringen konnte – aber vergebens. Sie glitt aus dem Sattel und tätschelte Tyfers Hals. »Lebe wohl, mein teurer, guter Freund! Ich muß dich jetzt verlassen, um mein Leben zu retten!« Sie rannte zu der Einfriedung, klomm hinüber und entkam so aus der Schafhürde.
Ossip und Sammikin schrien wütend: »Halt! Komm zurück! Es ist alles bloß Spaß! Wir wollen dir nichts Böses tun!«
Madouc warf einen angstvollen Blick über die Schulter und floh nur um so hurtiger. Der dunkle Schatten des Waldes von Tantrevalles war nun schon sehr nah.
Wild fluchend und unter Ausstoßung der schrecklichsten Drohungen, die ihnen in den Sinn kamen, kletterten Sammikin und Ossip über die Einfriedung und machten sich an die Verfolgung.
Am Rande des Waldes angekommen, lehnte sich Madouc gegen den Stamm einer alten Eiche, um einen Moment zu verschnaufen. Die Wiese herauf, keine fünfzig Schritte von ihr entfernt, kamen Ossip und Sammikin, beide jetzt vor Erschöpfung kaum noch in der Lage zu rennen. Sammikin erblickte Madouc, die an den Baum gelehnt stand, die kupferfarbenen Lokken wild zerzaust. Die beiden verlangsamten ihren Schritt und näherten, sich ihr schleichend. Sammikin rief mit sirupsüßer Stimme: »Ach, liebes Kind, wie klug du bist, auf uns zu warten! Hüte dich vor dem Wald, wo die Kobolde leben!«
Ossip fügte hinzu: »Sie werden dich bei lebendigem Leibe verspeisen und deine Knochen ausspeien! Bei uns bist du sicherer!«
»Komm, liebes kleines Küken!« rief mit lockender Stimme Sammikin. »Wir werden ein fröhliches Spiel zusammen spielen!«
Madouc wandte sich um und stürmte in den Wald. Sammikin und Ossip erhoben Schreie wütender Enttäuschung. »Komm zurück, du rothaariges kleines Balg!« »Wir sind jetzt sehr wütend; du mußt schwer bestraft werden!« »Ah, du kleines Biest, du wirst quieken und ächzen und schaudern! Auf unsere Gnade darfst du nicht rechnen! Du hattest auch mit uns keine Gnade!«
Madouc machte eine Grimasse. Sie verspürte ein beklommenes Gefühl im Magen. Was für ein schrecklicher Ort die Welt sein konnte! Sie hatten den armen Pymfyd getötet, der so gut und so brav war! Und Tyfer! Nie wieder würde sie Tyfer reiten! Und wenn sie sie fingen, würden sie ihr auf der Stelle den Hals umdrehen – so sie nicht daran dachten, sie für eine andere, unaussprechliche Belustigung zu benützen.
Madouc blieb stehen und horchte. Sie hielt den Atem an. Das stapfende und knisternde Geräusch schwerer Schritte auf totem Laub kam beängstigend nahe. Madouc stürmte weiter, schlug einen Haken und rannte um ein Dickicht aus Schlehdorn und ein weiteres aus Lorbeersträuchern herum, in der Hoffnung, ihre Verfolger in die Irre zu führen.
Der Wald wurde dichter; Laubwerk verdeckte den Himmel, außer dort, wo ein umgestürzter Baum oder ein Felsenausbiß oder andere unerklärliche Umstände eine Schneise schufen. Ein verfaulender Baumstamm versperrte Madouc den Weg; sie überkletterte ihn, rannte geduckt um einen Brombeerbusch herum und sprang über ein kleines Rinnsal, das durch Brunnenkresse tröpfelte. Sie hielt inne, um sich umzuschauen und Atem zu schöpfen. Nichts Furchterregendes war zu sehen; offenbar war sie den zwei Strolchen entronnen. Sie hielt den Atem an und lauschte.
Bum-knirsch, bum-knirsch, bum-knirsch:
die Geräusche waren schwach, aber sie schienen lauter zu werden, und in der Tat, durch Zufall hatten Ossip und Sammikin das Weiß von Madoucs Wams hinter dem Gestrüpp aufleuchten sehen und waren immer noch auf ihrer Fährte.
Madouc stieß einen leisen Schrei der Enttäuschung aus. Sie wandte sich um und floh weiter, die irrigsten Pfade und die dunkelsten Schatten suchend, um den Vagabunden zu entrinnen. Sie schlüpfte durch ein Dickicht von Erlen, durchwatete einen träge dahinfließenden Bach, überquerte eine Lichtung und machte einen Umweg um einen großen umgestürzten Eichenbaum. Dort, wo die Wurzeln in die Luft ragten, fand sie einen dunklen kleinen Schlupfwinkel, wohl verborgen hinter einer Wand von üppig sprießendem Fingerhut. Madouc kauerte sich unter die Wurzeln.
Mehrere
Weitere Kostenlose Bücher