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Lyra: Roman

Lyra: Roman

Titel: Lyra: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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betrachtete die Lichter draußen auf dem See. Sie bewegten sich durch die Nacht wie Sterne, die sich verlaufen hatten.
    »Danny?«
    »Ja.«
    »Du wolltest mir etwas sagen.«
    Er zögerte. Doch dann brachte er es auf den Punkt: »Vielleicht gibt es einen Weg für uns. Ich meine, eine Möglichkeit, wie wir aus alledem herauskommen können.«
    Sie sagte nichts. Fragte dann: »Wir?«
    »Lass nicht zu, dass es so endet, Sunny.«
    »Okay«, sagte sie mit erstickender Stimme. Und leise, ganz leise, flüsterte sie ein weiteres »Okay«, das noch viel schwächer klang als das erste.
    Dann hörte er nichts mehr von ihr.
    ZWEITES KAPITEL
    Die Farbe vergesslicher Herzen
    Forgetful heart, lost your power of recall. Every little detail, you don't remember at all. The times we knew Who would remember better than you?
    BOB DYLAN, Forgetful Heart
    Die Wege, die ein Mann gehen muss, sind oft steinig - und nicht selten haben sie die matte Farbe vergesslicher Herzen.
    Danny Darcy wusste, welchen Weg er gehen musste, noch ehe die Worte seiner Frau am Telefon verklungen waren. Er hielt das Telefon noch in der Hand, als sie schon längst aufgelegt hatte, und später dann ließ er es an seine Brust sinken, geradeso, als könne ihn dies Sunny näherbringen.
    Am nächsten Morgen dann brach er rechtzeitig auf.
    Er hatte nicht gut geschlafen, und ob dieser Tag wirklich die Wende bringen würde, konnte er nicht sagen. Aber er hatte das Gefühl, seine letzte Chance zu ergreifen. Dies war der Weg, den er jetzt gehen musste.
    My sweet Laura Lee.
    Die Sonne stand schon hoch über Duluth und tauchte die Güterbahngleise in ein güldenes Licht.
    Danny Darcys Herz war nicht so vergesslich, wie er es sich gewünscht hätte, und die Farben dessen, was noch gar nicht lange Vergangenheit war, leuchteten ihm noch immer in den Augen.
    Er legte eine CD von Mark Lanegan in den Player, nahm sich vor, die Strafgebühren an die Stadtkasse von Minneapolis zu überweisen (der zerknüllte Brief lag noch immer ungeöffnet auf dem Beifahrersitz, begraben unter einem Haufen CDs und Demos und Zeitungen), und fuhr mit halb geöffnetem Fenster nach Norden.
    Die Luft trug die Kühle des Sees in sich, und die Wolken waren kaum mehr als einsame Schiffe am Firmament. Langsam segelten sie ihrem Ziel entgegen und blickten hinab auf eine Welt, die gerade aus dem Schlaf erwachte. Schwere Laster donnerten die Straße entlang, drüben an den Bahnhöfen rollten die Züge über die Gleise, Danny lauschte der Musik.
    Something to believe.
    Als sei es gestern gewesen,
    When the Sailor saw Sunny in the dawn ofthat day... Danny schüttelte den Kopf.
    Konzentrierte sich auf den Verkehr.
    Hinter Duluth, auf der nördlichen Route 53, wurde die breite Straße ruhiger. Briefkästen standen verlassen da, Häuser waren keine zu sehen. Die Menschen hier oben lebten versteckt hinter den Pinien und Fichten und hohen Tannen. Ein verrosteter Mähdrescher lag wie ein riesiger Kadaver auf einem Feld.
    Er würde den Zimmermann treffen!
    Meine Güte, er konnte es kaum glauben.
    Bereits vor Wochen hatte er in Erwägung gezogen, den Zimmermann aufzusuchen, doch war sein Versuch, den alten Mann ausfindig zu machen, nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Stattdessen war Danny spontan und unüberlegt einen anderen Weg gegangen, einen, der ihn nach Schottland geführt hatte. Er hatte sich nicht unbedingt mit den richtigen Leuten eingelassen, einiges dazugelernt, sich eine Menge Ärger eingehandelt und war wieder heil nach Amerika zurückgekehrt. Trotzdem hatte sich die Beziehung zu Sunny nicht geändert.
    Jetzt war er auf dem Weg in den Norden.
    Zu Tyler Blake höchstselbst!
    Ja, das war sein Name.
    Ein Name, der magisch war.
    Er war eine Legende. Er war der Zimmermann.
    Er lebte im Little Swan. So hieß die Gegend südlich von Hibbing, ein großes Waldgebiet, urwüchsig und unberührt.
    Als Danny zum ersten Mal eines seiner Lieder gehört hatte - den Klassiker Heaven 's Heart -, da hatte er gemerkt, wozu Musik wirklich fähig war. Er hatte geweint, weil er etwas in sich gespürt hatte, was vielleicht seine Seele war. Er hatte geweint, weil etwas in ihm sich unweigerlich verändert hatte. All die Fragen, die ihn bis dahin bestürmt hatten, jene gnadenlos nagenden, gleichsam an Herz und Verstand zehrenden Fragen, die einen Teenager zu einem mit zittrigen Buchstaben vollgekritzclten Blatt im Wind machen, sie alle waren mit einem Mal beantwortet worden. Und es waren keine Worte nötig gewesen; nein, es war die

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