Lyra: Roman
Colin, als er von der Gitarre erfuhr.
»Sie wird nichts davon erfahren.«
»Irgendwann wird sie davon erfahren«, meinte Colin, der nie ein richtiger Rebell gewesen war.
»Dann erfährt sie eben davon.«
»Sie wird durchdrehen, wenn sie's erfährt.«
»Dreht sie eben durch«, antwortete Danny.
Colin wurde ernst. »Du weißt, wie sie dann ist.«
»Ja, weiß ich.« »Du weißt, was sie dann tun wird.«
»Yep!« Dannys Blick verdunkelte sich wolkenschwer. Keiner der beiden Jungs würde jemals vergessen, wie Helen Darcy sein konnte, wenn sie wütend war.
Dennoch - erst einmal gab es kein Problem, weil niemand etwas erfuhr.
Danny schmuggelte die Gibson ins Haus und übte leise in seinem Zimmer. Er berührte die Saiten, streichelte sie, als handele es sich um eine verbotene Berührung. Nur wenn seine Eltern das Haus verlassen hatten, konnte er ungehindert spielen. Nur dann entfalteten sich die Melodien und trieben durch sein offenes Fenster über die Wiesen und Moore zur See hinaus.
Viel zu selten waren diese kostbaren Augenblicke des Alleinseins, das wusste er.
Trotzdem!
Er machte Fortschritte.
Übte die Bünde, die ihm leichtfielen, und das Zupfen, das ihm größere Mühe bereitete. Schlagen und Dämpfen erwiesen sich als nicht so schwierig. Die Finger waren von der Orgel trainiert und wie Sportler, die ihre Aufwärmphase hinter sich hatten.
Er begann eigene Melodien zu spielen, später dann summte er dazu, und noch viel später formte sich das Summen zu Worten, die Geschichten erzählten. Er konnte förmlich sehen, wie das, was er sich ausdachte, Gestalt gewann.
Ja, Danny fühlte sich unbesiegbar.
Er trug schwarze Jeans und schwarze Stiefel und ein schwarzes Hemd und kam sich mit seinen vierzehn Jahren vor wie der junge Johnny Cash, der eben erst den Folsom Prison Blues geschrieben hatte. Er hatte es sogar geschafft, im The Spyglass zu der Gitarre einen Koffer rauszuschlagen, ein sperriges schwarzes Ding, das wie ein Sarg in Gitarrenform aussah, ihn aber an die Western von Sergio Leone erinnerte.
»Der ist stilecht«, pflegte Danny zu sagen, noch Jahre später, als er durch Prag und Paris tingelte.
Dann kam der Tag, an dem er es wissen wollte.
High Noon.
Seine Finger trommelten den Takt zu Wild One auf dem Lenkrad. Jerry Lee Lewis, auch ihn hatte er vergöttert.
Er schaute nach vorn, wo die Straße sich krümmte.
Warum musste er gerade jetzt daran denken? Hier, im St. Louis County von Minnesota?
War er nicht der Meister des Vergessens?
Seit fast zwei Stunden war er jetzt unterwegs, folgte der Route 53, und nun tauchte vor ihm die Stadt Hibbing auf. Im Norden war die Landschaft zerklüftet von den metallenen spitzen Zähnen, mit denen der Bergbau der Erde einst ihre Erze entrissen hatte, im Süden erstreckte sich ein Waldgebiet. Die Stadt selbst war seit Stunden erwacht und begrüßte den Reisenden mit Farben, die rot und braun und weiß und blau waren. Fahnen wehten flatternd im Wind, und Backsteingebäude glänzten im Sonnenlicht. Die Menschen, die von schwedischen, norwegischen, irischen, ungarischen, italienischen und finnischen Einwanderern abstammten, gingen ihrem Tagwerk nach.
Danny wendete den Pick-up auf der Hauptstraße.
Er war viel zu weit gefahren. Irgendwo weiter südlich hätte er eine Abfahrt nehmen sollen.
Also fuhr er den Weg ein Stück zurück.
Wie eine dürre Natter wand sich die Straße durch die Landschaft, vorbei an Feldern und Tümpeln und vereinzelt in der Einsamkeit erbauten Häusern mit breiten Dächern und großen Scheunen. Dies war das Land, das Walt Whitman in Verse gekleidet hatte; hier erahnte man noch die Natur, in der Thoreau hatte frei sein wollen.
Alles sah gleich aus für jemanden, der nicht von hier war.
Im Radio lief Emmylou Harris.
How she could sing the wildwood llower.
Danny musste zugeben, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, wo er war.
Als er dann einen alten Farmer am Straßenrand stehen und frisch gepflückte Erdbeeren feilbieten sah, bremste er ab und hielt an.
Der Alte trug einen Strohhut und eine blaue Latzhose. Eine Kippe hing ihm im Mundwinkel wie ein Grashalm. Als Danny sich ihm näherte, winkte er ihm zu, wie es die Einheimischen tun, wenn sie einen Fremden sehen.
»Entschuldigen Sie«, begann Danny, »ich habe mich, glaube ich, verfahren.«
»Du bist fremd hier, Junge, was?«
»Könnte man sagen.«
Der Alte zeigte ihm ein nahezu zahnloses Lächeln. »Nach Hibbing geht es da entlang.« Er deutete in die Richtung, aus der Danny
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