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Lyra: Roman

Lyra: Roman

Titel: Lyra: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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entlang und ließ das Gemäuer erbeben.
    Helen Darcy schrie.
    Und Johnny Cash sang Get Rhythm.
    »Ich brauche RUHE!«, kreischte Helen Darcy, und ihre Hände krallten sich in die Matratze.
    Johnny Cash sang unbeirrt weiter.
    Helen Darcy keuchte und schrie und tobte. Dr. Horowitz kümmerte sich um alles andere. Archibald Darcy stand nur herum.
    Gel Rhythm war zu Ende.
    Dannys kleines Köpfchen zeigte sich der Welt.
    Ring ot'Fire dröhnte durchs Haus.
    Helen kreischte, als Dr. Horowitz sie von dem Baby entband.
    »Ist es ein Mädchen?«, fragte Helen Darcy schließlich, als sie wieder Luft bekam. »Ist es eine Deirdre?«
    Der Arzt stellte nüchtern fest: »Es ist ein Junge.«
    Helen Darcy nahm es zur Kenntnis. »Ein Junge«, wiederholte sie. Mürrisch und enttäuscht fügte sie hinzu: »Ich habe es geahnt.«
    Die Musik war noch immer laut.
    »Kann jemand endlich dieses Gejammer ausstellen«, schrie Helen Darcy.
    Aber Dr. Horowitz und ihr Mann hatten nur Augen für das Kind.
    Den Jungen.
    Und in dem Augenblick, in dem man ihr Danny, eingewickelt in ein weißes Tuch, in die Arme legte, dröhnte Folsom Prison Blues durch die Mauern von Ravenscraig.
    Wie passend, dachte Danny auch heute noch.
    Damals schrie er nur, wie es Neugeborene, die mit Johnny Cash konfrontiert werden, nun einmal tun. Er schrie so laut, schrill und gellend, als habe er bereits in diesem Augenblick geahnt, welche Bedeutung der Song für ihn haben würde. Als habe er in diesem Moment verstanden, dass er in eine Art Gefängnis geboren worden war.
    »Sie können jetzt gehen«, sagte Archibald Darcy zu dem Doktor.
    Dr. Horowitz wirkte überrascht. »Aber ich...«
    »Verlassen Sie das Zimmer, das ist alles.«
    Der Doktor schien konsterniert. »Sie ist meine Patientin. Ich...«
    »GEHEN SIE!«, kreischte Helen Darcy, die das Kind im Arm hielt.
    Der eingeschüchterte Doktor zögerte.
    »Es geht jeden Moment los, verdammt.« Archibald Darcy, der jetzt keine Zeit mehr hatte, den äußerst verdutzten Doktor vor die Tür zu setzen, bewaffnete sich mit einem Tennisschläger, der neben dem Schrank auf diesen Einsatz gewartet zu haben schien, und harrte der Dinge, die sich da ankündigten.
    »Wir haben aus Colins Geburt gelernt«, pflegte Helen Darcy an dieser Stelle zu sagen. »Wir wussten, dass eine von ihnen kommen würde.«
    »Eine von ihnen?«, fragten die Jungs dann im Chor.
    Woraufhin Archibald Darcy antwortete: »Eine Dschinni.«
    Und Helen Darcy ergänzte: »Musik lockt sie an, dessen bin ich mir sicher.«
    Wie auch immer - Johnny Cash war bei Walk the Line angelangt, als die Wände des Zimmers verschwanden. Sie lösten sich auf, im Bruchteil von Sekunden, und wurden zu einer Dschungellandschaft, die kein Ende zu haben schien. Palmen beugten ihre Blätter in einem monsunartigen Wind, Sandkörner wehten über den Boden, Papageien schrien laut auf, und bunte Vögel flatterten durch den Raum. Aus dem dichten grünen Dickicht schälte sich eine Gestalt heraus, und das Geräusch, das sie begleitete, nahm den pulsierenden Takt des Songs an. Die Gestalt war kaum mehr als ein Schemen, ein filigranes Wesen, das auf das Baby zuschwebte.
    »Wir wussten, dass sie kommen würde«, pflegte Helen Darcy zu sagen, »weil sie auch anlässlich der Geburt deines Bruders schon zu uns gekommen war.«
    »Sie hat mir die Stirn geküsst«, flocht Colin daraufhin ein.
    »Genau.«
    Was immer die Dschinni jetzt im Sinn hatte, Archibald Darcy gab sich alle nur erdenkliche Mühe, sie daran zu hindern. Er schlug mit dem Tennisschläger nach der Dschinni, doch diese erwies sich als flink wie ein Kolibri. Mühelos wich sie den Schlägen aus und stürzte sich auf das Baby. In Windeseile benetzte sie die kleine Stirn mit einem Kuss. Es geschah in einem Wimpernschlag, so zart und beiläufig, wie ein magisches Wesen nur jemals einen Menschen berühren konnte.
    Dr. Horowitz indes war völlig durcheinander. Er trat mit den Füßen nach den Skorpionen und Schlangen, die auf ihn zukrochen. Dann traf ihn Archibald Darcy, redlich bemüht, die Dschinni doch noch niederzustrecken, mit dem Tennisschläger am Kopf.
    Dr. Horowitz blinzelte kurz, verdrehte die Augen und ging zu Boden.
    Ein Skorpion krabbelte ihm über das Gesicht.
    Archibald Darcy stand fassungslos da.
    Walk the Line war zu Ende.
    Der Raum war wieder normal.
    Nachdem die Dschinni den Jungen geküsst hatte, war alles, was kurz aufgeflammt war, wieder verschwunden.
    »Was immer auch sie dir geschenkt hat«, sagte Helen Darcy später, »ich

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