Lyra: Roman
auf seinem Saxophon schwere Melodien, die mit sich selbst rangen, wie Krieger es im alten Griechenland miteinander taten, nur mit Kraft, ohne Waffen, nackt. Er entlockte dem Instrument seufzende, drängende Töne, eine Kakophonie aus Harmonien, aus denen die Hitze schwitzte.
Jenny.
Danny fühlte sich mit einem Mal gut.
Girl ofmy Dreams.
Meine Güte!
New Orleans, dachte Danny, hier lebte die Magie noch. Hier wurde der Jazz geboren.
Ja, fast war es, als könne man die alte Stadt greifen. Jene Stadt, die New Orleans einst gewesen war.
Er spürte, wie Sunny seine Hand ergriff.
Ein neues Lied begann.
Honey Man Blues.
Die alte Stadt, die noch immer da war.
Überall.
New Orleans mit all seinen Vergnügungsvierteln, den riesigen Show-Booten und den Tanzpalästen, wo heute noch Dixieland und Jazz wie scharfe Gewürze die Luft trübe machten. Damals war etwas Neues geboren worden.
Etwas ganz und gar Großartiges, das gemeinsam von den Franzosen, Spaniern und ehemaligen Sklaven erschaffen wurde. Die creoles de couleur ließen die Schöpfung neu entflammen.
Alles, was sich hier traf, verschmolz wie in einem riesigen Topf zu etwas Neuem. Die alten Lieder der frühen Plantagcnsklaven, die munteren Shanties der Seeleute von den Westindischen Inseln, die Work Songs der Eisenbahnarbeiter, all diese Lieder, vermischt mit den Spirituals der schwarzen Baptistengemeinden, dem krächzenden Blues, den sie auf dem afrikanischen Banjo spielten, untermalt von der Mundharmonika und dem Waschbrett, in allem ein Echo der europäischen Marschmusik. Man nannte es Ragtime, Fakc Music und Low down Music. Manche nannten es Jass. Jass, wie leidenschaftlicher Sex. That's Jass. Ein guter Fick. Aus Jass wurde Jazz, aber die schwülstige Atmosphäre blieb.
Die Musik war wie Körper, die einander hemmungslos liebten, schwarz und schweißtreibend, in den Amüsiervierteln, wo Brass Bands und Tanzkapellen wummerten und ekstatische Tänzer ihre glänzende Haut zeigten, wo im schummrigen Licht Gedanken um lange Beine, feste Hintern, volle Brüste und tiefe Geheimnisse kreisten. Eine Welt, die von Buddy Bolden begründet wurde, die von Joseph King Oliver, Sidney Bechet, Edward King Ory und Warren Baby Dodds erobert wurde. Eine Welt, deren König Louis Armstrong wurde, lange Zeit, nachdem die ersten Entdecker dem Mississippi gefolgt waren, den ganzen langen Weg aus Kanada hinab zum Golfstrom.
Und alles, was einst gewesen war, lebte jetzt in jedem Musiker fort, der die Straßen sein Zuhause nannte.
»Alles ist so vergänglich«, flüsterte Sunny.
Danny ging zu dem Musiker hin und ließ einige Münzen in den geöffneten Saxophon-Koffer fallen.
»Komm«, forderte er Sunny auf.
Der Musiker nickte ihnen zum Abschied zu und spielte die ersten Takte eines Liedes, das sie beide kannten.
Your are my Sunshinc.
Wie angewurzelt blieben sie stehen. Die Augen des Alten lächelten warm, als würden sie alle Geschichten, die jemals erzählt wurden, bereits kennen. Als würden sie ahnen, dass die Gcschichte, in der sie beide vorkamen, gut endete.
So gingen sie weiter, beschwingter als vorhin noch, als die Musik zu fern gewesen war, um zu ihr tanzen zu können.
Jenny.
Danny beschloss einen Song zu schreiben, in dem eine Jenny vorkam.
Jenny Darcy.
Er berührte Sunnys Bauch.
Die Sonne schien.
»Da ist es!«
Sie hatten gerade die St. Louis Cathedra! hinter sich gelassen, als sie es sah. Ein Gebäude, dessen Vergangenheit mit Sicherheit schillernd war. Das Cafe du Monde.
So früh am Morgen tummelten sich noch keine Massen im dem Cale, das in jedem Reiseführer Erwähnung fand. Die Wände waren von einer warmen Farbe, und die hohen Fenster ließen das Licht großzügig hinein. Es roch nach Kaffee und Gebäck, das Gemurmel der Gäste war ein Teppich mit buntem Muster. Unter den Arkaden waren noch Tische frei, dort nahmen sie Platz.
Danny wartete, bis eine der Bedienungen an den Tisch kam.
Er bestellte, was alle bestellten, die sich hierher verirrten: café au lait und beignets.
Sunny verzog das Gesicht, als er den Kaffee auch nur erwähnte, bestellte einen Orangensaft und ebenfalls die beignets. Als die Kellnerin alles zu ihnen an den Tisch brachte, fragte Danny sie nach Mr. Jones.
»Wir kennen nicht alle Gäste mit Namen.«
»Man sagte mir, dass Sie diesen einen kennen.«
Sie überlegte, musterte Danny eindringlich. »Kann sein.«
»Ich muss ihn treffen«, betonte Danny, »es ist sehr wichtig.«
»Mr. Jones.« Sie sprach es aus wie Mista Johns.
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