Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lyra: Roman

Lyra: Roman

Titel: Lyra: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
erwecken.
    Jeder Sinn dieses Vorhabens wehte ihm durch den Kopf. So ritt er los.
    Die Prärie wurde zur Wüste. Steine, Kakteen, Sand. Er ritt zwei Tage, und der Horizont war ein Teufel, der tat, was er wollte. Taranteln lagen ausgedörrt neben den Skeletten von Joshua Trees , tote Geier waren aufgespießt von den Gerippen der Kadaver, an denen sie sich gütlich getan hatten. Verwundete Blumen säumten seinen Blick, vertrocknete Brunnen und schwere Farben. Menschen gab es hier draußen keine. Alles war Ödnis und Weite, so leer wie sein Herz, das außer dem Schweigen und dem Hoffen nur ein verstimmtes Instrument war. Er sah stählerne Gefährte, Relikte der alten Welt, an die sich keiner mehr erinnern konnte, vom Himmel gefallen oder verflucht von eigener Hand.
    Donner rollte über die Berge, fern war der Geist über den Wassern, die verschwunden waren.
    Er ritt durch einen Canyon, der ihm bekannt vorkam.
    Die Luft wurde kälter, je weiter sie in das Tal vordrangen. Indianische Totems säumten den Weg.
    Hohe Gräser ragten aus hellen Wassern empor. Es sah so aus, als sei der silberne Mond mit einer Moorlandschaft verwachsen. Selbst die Mondkrater schwammen in der milchigen Brühe, die wie klirrendes Eis und tiefer Schnee roch.
    Die Luft an diesem Ort war eisig kalt, und der Atem begann ihm vor dem Gesicht zu gefrieren. Sein Pferd zitterte am ganzen Leib.
    Danny betrachtete die eisig lodernden Mondmoore, die sich bis zum Horizont erstreckten. Erkannte sie.
    Er hielt an, stieg vom Pferd, trat an ihren Rand und schaute in die Tiefe, wo er nicht einmal sein Gesicht entdecken konnte.
    Nein, hier würde er die Lyra niemals finden.
    Die Lyra?
    Er zauderte. War er nicht auf der Suche nach der schönen Schlafenden?
    Tage vergingen, ohne Antwort, Er durchquerte Wetland, das verbrannt war.
    Ja, er suchte die Schlafende.
    L 'Histoire, so hieß sein Ziel.
    Dann erreichte er die Sümpfe. Zeit war zerflossen, mehr und mehr.
    Er fand eine Siedlung. Cajun-Menschen, so nannten sie sich. Ein Mann namens Mr. Jinx nahm sein Pferd im Tausch gegen ein Kanu, eine Frau namens Miss Lucy gab ihm Essen und einen Talisman im Tausch gegen den Maulesel.
    Du findest die Lyra, wo die Vögel leben, sagte ihm Mr. Jinx. Und das, obwohl er ihn nur nach einem Haus namens L 'Histoire gefragt hatte.
    Sei auf der Hut, sie ist hungrig, warnte ihn Miss Lucy.
    Er dankte ihnen.
    Dann bestieg er das Kanu und fuhr los.
    Der Sumpf, in dem er nun war, hatte kein Ende. Tagelang fuhr Danny durch die Bayous.
    Barataria.
    Hohe Bäume und Hecken waren überall, so dicht, dass kein Licht durch sie hindurchzuschlüpfen vermochte. Der Fremde ohne Namen, der schon wieder vergessen hatte, dass er sich Alias nannte und irgendwo, weit, weit fort in einer fernen Erinnerung, noch immer Danny Darcy war - dieser Fremde ernährte sich nun von rohen Fischen, hartem Alligatorcnflcisch und den winzigen Eiern der Wespen, die oben im Totenmoos unter den Ästen lebten.
    Schließlich erreichte er L Histoire.
    Warum bin ich hier?, fragte er sich.
    Tote Pferde und ausgedörrte menschliche Leichname mit Halstüchern, Hüten und Sporen an den Stiefeln bedeckten die karge Erde vor dem Haus. Die Träumenden, die hergekommen waren wie er selbst, jetzt waren sie wie der Staub, der über sie hinwehte. Danny Darcy, der jetzt nur ein Fremder war, stand vor dem Haus, hinter dem ein voller Mond erblühte. Sein Mantel wehte im Wind.
    Er seufzte.
    Dann nahm er die Wasserflaschen und schüttelte sie. Er kannte die alten Geschichten. Man musste etwas Wertvolles hergeben, um Prüfungen zu bestehen. Immer schon war es so gewesen. Gesetze wie dieses flackerten wie die Feuer der alten Welt hinter den blauen Augen, die mehr gesehen hatten, als Worte jemals sagen könnten.
    Die rauen Hände öffneten die Wasserflaschen und gössen das kostbare Nass auf die Dornenhecke. Aus der flimmernden Hitze trat die Königin der Verheißung, und mit einem Schwert aus Fieber zerschlug sie die Dornenhecke. Ihr Gesicht war das Antlitz all derer, die seine schnellen Hände zu spüren bekommen hatten. Ihre Gestalt war die Körper all jener, deren Liebesbekundungen nur Lüge und Verderben gewesen waren. Ihr Lächeln war alles Glas, das jemals zersplittert war. Stumm war sie wie jede Königin, die der Wind mit sich nimmt.
    Alias Darcy trat vor.
    Die trockenen Lippen schmerzten schon lange nicht mehr. Mit uralten Stiefeln durchschritt er die Dornenhecke, ging den Pfad aus Spekulationen und Geschichten entlang, weil es kein Zurück

Weitere Kostenlose Bücher