M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
Verschwundenen mit seinem eigenen synchronisierte.
»Alles in Ordnung bei Ihnen?«, fragte der Taxifahrer.
»Sie kennen Ihren Kollegen Denning.«
»Mäßig.«
»Beschreiben Sie ihn.«
»Wie jetzt, körperlich?«
»Wie Sie möchten.«
»Kräftiger Typ, den macht keiner in der Nacht an. Kurze Haare, schwerer Kopf.«
»Was ist ein schwerer Kopf?«
Der Fahrer sah in den Rückspiegel, grinste. »Schwer halt, fällt auf, ernste Miene. Blaue Augen, glaub ich, bin mir jetzt nicht sicher. Redet nicht gern, wie Sie. Ansonsten? Soll mal einen Laden gehabt haben, Klamotten. Kann man sich kaum vorstellen, das ist nicht der Typ dafür, für einen Verkäufer. Man täuscht sich schnell. Da steigt ein Gast ein, und du denkst: Der macht Ärger, pass besser auf, fünfhundert Meter weiter merkst du: entspannter Typ, gut drauf, will sich amüsieren.«
»Was können Sie noch über Denning sagen?«
»Wir haben nicht oft geredet. Der neigt zu etwas merkwürdigen Ansichten, bei so was klink ich mich aus, interessiert mich nicht: Politik.«
»Sie teilen seine politischen Ansichten nicht.«
»So gut kenn ich die auch wieder nicht. Ein paarmal hat er ziemlich abgelästert über Ausländer und Schnorrer und solche. Die will er am liebsten alle nach Hause schicken, Anatolien oder so. Gut, dass der Chef das nicht mitgekriegt hat.«
»Er ist ein Rechter«, sagte Süden.
»Er sieht jedenfalls nicht so aus. Ich will ihn nicht in eine Ecke stellen, wirklich nicht. Ich bieg hier illegal links ab, sonst muss ich einen ewigen Bogen fahren.«
Beim Aussteigen sagte Süden: »Glauben Sie, Denning ist Mitglied in einer Partei?«
»Das weiß ich nicht. Wer geht heut schon freiwillig in eine Partei? Nur Fanatiker, sonst doch niemand.«
Süden stand vor einer Siedlung aus langgestreckten grauen und beigen Sozialbauten aus den sechziger Jahren, die meisten zweistöckig, schmucklos mit alten Rollos an den kleinen Fenstern, Hunderte von Wohnungen. Zwischen den Häusern waren geteerte Wege, zwischen den Wegen Grünflächen mit Bäumen. Ein weitläufiger Block wie viele im Osten der Stadt, dessen Mieter hinter einer Fassade aus Anonymität verschwanden.
Der Eingang zum Haus Nummer 27 befand sich auf der Rückseite des Gebäudes an der Wilramstraße. Gegenüber, am Rand eines Parks, der sich von der Balanstraße bis zur Rosenheimer Straße nahe der Autobahn erstreckte, parkte ein grauer Audi. Der Fahrer, der hinter beschlagenen Scheiben saß, beobachtete Süden, seit dieser aus dem Taxi gestiegen war.
Der neunundfünfzigjährige Ralph Welthe kam seit einer Woche jeden Tag in die Wilramstraße in Ramersdorf, um das Haus Nummer 27 im Auge zu behalten. Wer der Langhaarige mit der grauen Mütze war, wusste er nicht, aber er war sich sofort sicher, dass er nicht zu den Leuten gehörte, mit denen Denning üblicherweise Umgang hatte. Welthe hoffte inständig, der Mann würde ihm einen brauchbaren Hinweis liefern. Eine derartige Ungewissheit hatte er noch nie ertragen müssen. Je mehr Zeit verstrich, desto schrecklicher empfand er das Warten auf ein winziges Licht im Dunkel der Ereignisse, für die ihm jegliches Verständnis fehlte und die ihn in gewisser Weise persönlich beleidigten.
6
S üden roch den Schnee, der in den Bergen gefallen war, bis zu dem grauen, duftlosen Gelände der Siedlung an der Wilramstraße. Außer ihm war an diesem wolkenverhangenen Nachmittag kein Mensch unterwegs. Niemand öffnete in Haus Nummer 27, kein Schatten eines Gesichts tauchte hinter einer Gardine auf. Am Klingelschild stand der Name des Taxifahrers: S. Denning. Süden klingelte sowohl bei ihm als auch bei anderen Mietern. Vielleicht war tatsächlich niemand zu Hause.
Als er sich ratlos an die Hausmauer lehnte, kam, von woher auch immer, eine etwa siebzigjährige Frau in einem blauen Anorak, ausgewaschenen Bluejeans und Fellstiefeln auf ihn zu. Auf dem Kopf trug sie eine braune Bommelmütze. Als sie vor ihm stehen blieb, sah er den rosafarbenen Rucksack auf ihrem Rücken.
»Wollen Sie zu mir?«, sagte sie.
»Ich suche Siegfried Denning.«
»Ach so.« Sie kniff die Augen zusammen und machte einen Schritt auf die Haustür zu. »Ich hätt mich schon gewundert, wenn die doch noch wen vorbeigeschickt hätten. Mein Telefon spinnt, das brummt, wenn ich den Hörer abnehm. Die wollten einen Techniker schicken, schon letzte Woche. Im Grunde … Sind Sie von der Polizei?«
»Ich bin Detektiv.«
»Letzte Woche war schon mal einer da.«
»Ein Detektiv.«
»Weiß ich
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