M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
dass sie Ziele verfolgte, die mit der Suche nach dem Taxifahrer nichts oder nur wenig zu tun hatten. Er wollte wissen, welches Spiel sie trieb. Und Kreutzer war ein ausgezeichneter Beschatter und mittlerweile auch erfahren genug, um riskante Situationen einschätzen und die Aktion notfalls rechtzeitig abbrechen zu können. Trotzdem, dachte Süden, hätte er ihn, wie er es eigentlich vorgehabt hatte, warnen und aufhalten müssen.
»Wann kommt endlich der Kommissar wieder?« Patrizia trommelte mit den Händen auf ihre Oberschenkel, den Blick unaufhörlich auf die Treppe gerichtet.
»Hasenbergl«, sagte Edith Liebergesell, drückte noch einmal Südens Hand und ließ sie los. »Was wollte Leo dort? Wieso hat er euch nicht informiert?«
Weil das Sitzen ihn zermürbte, stand Süden auf und stellte sich vor die Wand gegenüber. Im schäbigen Krankenhauslicht sah sein Gesicht erschreckend aus. »Er wollte nichts am Hasenbergl. Er wurde dort hingebracht.«
»Das wissen wir nicht«, sagte Patrizia, ohne den Blick von der Treppe abzuwenden.
»Wir wissen es nicht, ich vermute es.«
»Wo wurde er misshandelt?«, fragte Edith Liebergesell.
Jetzt sah auch Patrizia Süden an. »Da, wo er unterwegs war«, sagte er. »In Neuhausen, in der Gegend von Mia Bischof.«
»Dann ist sie mitverantwortlich«, sagte Patrizia.
»Können wir das beweisen?«
»Das werden wir«, sagte Edith.
Im Parterre waren Schritte zu hören, jemand kam die Treppe herauf.
Süden dachte wieder an die Gespräche mit seinen Ex-Kollegen; an das abweisende Verhalten des LKA-Kommissars; an die Mauern, gegen die er gerannt war und die, wie er vermutete, erst der Anfang einer ganzen Festung waren.
Den Mann in der mit unzähligen Taschen ausstaffierten grünen Trekking-Jacke kannten die drei Detektive bereits: Hauptkommissar Bertold Franck vom Kommissariat 111, der Mordkommission. Außer Atem nickte er ihnen erst zu, bevor er mit verschlossener Miene von einem zum anderen blickte. »Wir haben mit der Frau gesprochen, Mia Bischof. Sie sagt, sie hat den alten Mann tatsächlich getroffen, er kam in das Lokal und hat ein Bier getrunken. Sie bestätigt Ihre Angaben, dass Sie an einem Auftrag für Frau Bischof arbeiten, über den Sie uns nichts Näheres sagen wollen. Das steht Ihnen frei. Jedenfalls hat Herr Kreutzer das Lokal gegen 20 Uhr verlassen, danach hat Frau Bischof ihn nicht mehr gesehen. Meine Kollegen waren vor Ort. Die Kneipe, das Bergstüberl, hat geschlossen, den Wirt haben wir noch nicht erreicht, mit ihm reden wir morgen früh. Bisher gibt es keine Zeugen, die Herrn Kreutzer in der Nähe des Lokals gesehen haben. Auch nicht am Hasenbergl. Sollten wir nicht erfahren, um was es bei Ihrem Auftrag geht? Ihr Mitarbeiter ist schwer verletzt, Sie sollten uns bei der Suche nach dem Täter oder den Tätern unterstützen. Nein?«
»Doch.« Schwerfällig erhob sich Edith Liebergesell. Den Rotwein, den sie zu Hause getrunken hatte, spürte sie immer noch. »Wir suchen einen Bekannten von Frau Bischof, eine normale Ermittlung. Ich bitte Sie um Verständnis für unsere Zurückhaltung, das gehört zu unserem Beruf und zur Verabredung mit den Klienten.«
»Schon recht. Es ist gleich zwei Uhr früh, wir liegen nicht auf der faulen Haut. Aber es deutet alles darauf hin, dass Ihr Kollege nicht am Hasenbergl zusammengeschlagen, sondern dort nur abgelegt wurde. Und Spuren für einen Überfall in Neuhausen haben wir bisher nicht. Was ich nicht verstehe, ist, wieso wollte Herr Kreutzer Frau Bischof treffen? Oder war der Mann nur zufällig in Neuhausen? Da sind lauter Lücken in Ihren Aussagen, das gefällt mir nicht, ehrlich gesagt.«
»Da sind keine Lücken«, sagte Edith Liebergesell. »Frau Bischof hat ein paar Angaben gemacht, die wir überprüfen müssen, und wir …«
»Was für Angaben? Worum geht’s?«
»Möglicherweise ein Beziehungskonflikt, bei dem eine eifersüchtige Frau durchdreht und mit allen Mitteln ihren Freund wiederhaben will, der weggelaufen oder untergetaucht ist, weil er Schulden bei ihr hat oder einfach nichts mehr von ihr wissen will. Solche Fälle haben wir ständig, und wir gehen denen nach. Wir sind keine Tanzbären, auch wenn wir dafür bezahlt werden. Wir sind auf Ihre Hilfe dringend angewiesen, Herr Franck, wir stehen unter Schock, das sehen Sie doch.«
Süden machte einen Schritt von der Wand weg, vor der er reglos gestanden hatte. »Ihr Gespräch mit Frau Bischof fand in ihrer Wohnung statt.«
Irritiert sah Franck ihn an.
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