Mabel Clarence 03 - Schatten ueber Allerby
Vermutung deckte sich nämlich mit ihren eigenen Überlegungen, wenngleich Mabel sich des Gefühls nicht erwehren konnte, zwischen diesem Mord und Michelles Tod gebe es einen Zusammenhang.
„Wir werden alles in Betracht ziehen“, erwiderte Warden, dann sah er wieder zu Mabel. „Nun aber zu Ihnen, Miss Daniels. Wo waren Sie heute Nachmittag zwischen vier und sechs Uhr?“
„Wurde der Mann in diesem Zeitraum ermordet?“, fragte Mabel.
„Nach ersten Erkenntnissen des Gerichtsmediziners, ja. Genaueres werden wir auch hier erst nach der Obduktion wissen. Beantworten Sie mir jetzt bitte meine Frage!“
„Brauche ich etwa ein Alibi?“, fragte Mabel und wusste, sie musste jetzt vor den Ohren aller die Wahrheit sagen. „Ich verbrachte den ganzen Nachmittag drüben in Lower Barton.“
„Kann das jemand bezeugen?“, fragte Warden und ließ Mabel nicht aus den Augen. Nur mit Mühe verkniff sie sich ein Grinsen, das der Situation wenig angemessen gewesen wäre.
„Ja, Chefinspektor, ich besuchte Freunde, die das bestätigen werden. Außerdem traf ich einen Bekannten auf dem Parkplatz des Supermarktes. Ich bin sicher, auch dieser Herr wird das gern bezeugen. Das war so gegen halb fünf.“
Um Wardens Mundwinkel zuckte es, aber außer Mabel bemerkte es niemand. „Es ist gut, Miss Daniels. Ich werde noch weitere Fragen haben, daher kommen Sie bitte morgen Vormittag zu mir auf die Dienststelle nach Lower Barton. Sie wissen, wo diese sich befindet?“
Es war grotesk, und Mabel stand kurz vor einen Lachanfall, denn sie hätte Warden niemals so ein schauspielerisches Talent zugetraut. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Sergeant Bourke ebenfalls um Fassung rang. Bemüht, ernst zu bleiben, nickte sie.
„Selbstverständlich, Chefinspektor.“
„Warum wollen Sie Miss Daniels auf dem Polizeirevier verhören?“, rief Jane Carter-Jones erstaunt. „Und dann noch an einem Sonntag? Sie hat doch ihre Aussage gemacht, ebenso wie alle anderen. Steht sie etwa unter Verdacht?“
Warden schüttelte den Kopf. „Reine Routine, Lady Carter-Jones, und bei einem Tötungsdelikt gibt es für die Polizei keine Sonntage. Sie werden sicher daran interessiert sein, dass das Verbrechen so schnell wie möglich aufgeklärt wird, nicht wahr?“
Lady Jane nickte verkrampft, dann war Mabel entlassen. Ohne mit jemandem zu sprechen, ging sie in ihr Zimmer und setzte sich aufs Bett. Was hatte Warden vor? Warum hatte er ihre Identität nicht aufgedeckt? Wer war der Tote und wie kam er nach Allerby? Gab es zwischen ihm und Michelle eine Verbindung?
Fragen über Fragen! Mabels Kopf brummte. Inzwischen war es fast zehn Uhr, und heute Abend würde sie weder Näheres erfahren noch etwas unternehmen können. Zuerst musste sie morgen mit Warden allein sprechen, dann wollte sie sofort Victor aufsuchen. Sie überlegte, ihn anzurufen, entschied sich aber dagegen. Das war kein Thema, das man am Telefon diskutierte; außerdem war sie auf Victors Gesicht gespannt, wenn er erfuhr, dass auf Allerby nun ein eindeutiger Mord geschehen war, an dem auch Warden keinen Zweifel hatte.
„Mabel, nun kannst du doch nicht von hier fortgehen“, sagte sie laut. Ihr kriminalistischer Spürsinn war zu neuem Leben erwacht. Noch vor wenigen Stunden hatte sie geglaubt, sich bei Michelles Tod gründlich geirrt zu haben; jetzt jedoch war sie sich sicher, dass die junge Frau nicht freiwillig aus dem Leben geschieden war. Sie hatte keine Ahnung, wie es jemand fertiggebracht hatte, Michelle zu töten, Tür und Fenster von innen zu verriegeln und keine Spuren zu hinterlassen. Aber es wäre ein zu großer Zufall, dass es kaum zwei Wochen später einen zweiten Toten auf Allerby gab. Mabel war nun wieder fest entschlossen, herauszufinden, was auf Allerby vor sich ging.
Als Mabel am nächsten Vormittag das Polizeirevier betrat, war sie nicht überrascht, Sergeant Bourke anzutreffen. Sie fragte sich, ob er wohl verheiratet war oder überhaupt mit einer Frau zusammenlebte. Wenn ja, musste diese viel Verständnis aufbringen, denn für Polizisten gab es kein Wochenende und keine freien Tage, wenn ein wichtiger Fall aufzuklären war.
Der Sergeant grinste verschmitzt. „Sie haben uns ja einen gehörigen Schrecken eingejagt, Miss Mabel“, sagte er. „Ich dachte, ich träume, als ausgerechnet Sie plötzlich ins Zimmer kamen, und mein Zeh, auf den der Chef getreten ist, ist ganz blau und geschwollen.“
„Das tut mir leid.“ Mabel sah sich in der Dienststelle um. „Wo
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