Macabros 002: Fluch der Druidin
die knarrenden Treppen zum
Schlafraum hinauf. Nyreen Matobish brach wenig später auf. Ihre
Tür klappte ins Schloß.
Charles Clearwater leerte seine Bierflasche, nickte John MacCarthy
zu und erhob sich. »Ich hau’ mich aufs Ohr.« Er
gähnte und streckte die Arme aus. »Wer weiß, wie
lange die Nachtruhe dauert.«
MacCarthy warf ihm einen Blick zu. »Wie meinen Sie
das?«
»Noch ’ne knappe Stunde bis Mitternacht. Wenn man die
klassischen Gespenstergeschichten berücksichtigt, dann geht es
um diese Zeit doch meistens los. Vielleicht taucht mein alter Herr
persönlich auf und zeigt uns den verborgenen Schatz.« Er
lachte und griff sich an den Kopf. »Ich weiß gar nicht,
weshalb ich den Unfug eigentlich mitmache. Eine Nacht im
Hexenhaus… Das ist doch Unsinn, hier herumzusitzen. Worauf
warten wir eigentlich, MacCarthy?«
Der Anwalt seufzte und zuckte die Achseln. »Wenn ich das
wüßte, Mister Clearwater, wäre ich dann hier? Das
Ganze ist so ungewöhnlich und so absurd, daß man es schon
als lächerlich bezeichnen kann.«
»Warum bleiben wir dann hier?«
»Jeder erwartet und erhofft sich etwas. Eine Million Pfund
sind kein Pappenstiel. Und wenn das mit dem Aztekengold stimmt, kann
es doch sehr gut möglich sein.«
»Die Hoffnung, daß etwas sein könnte, hält
uns hier fest.«
Clearwater nickte. »Und dann kommt noch das Gequatsche von
dem Wirt dazu, der sich alle Mühe gegeben hat, uns zu bewegen
nicht hierherzugehen. Vielleicht hat mein Vater ihn bestochen. Es
gibt ja genügend Hinweise, daß er des öfteren hier
gewesen ist. Zum Beispiel der Brief, der an die Tür geheftet
war. Jedenfalls sind wir alle neugierig geworden und unterwerfen uns
den Vorstellungen und Wünschen eines Verrückten.«
Lachend stieg er die Treppe empor.
MacCarthy blieb nachdenklich zurück. Er starrte vor sich hin,
versuchte die Dinge, die sich seit dem Tod Lawrence Clearwaters
ereignet hatten, logisch zu ordnen und einen Sinn in ihnen zu
erkennen.
Clearwater mußte sich etwas dabei gedacht haben, daß
er alle Erben und ihn hier ins Haus bat.
Die Kerzen und die gefüllten Öllampen, die sie gefunden
hatten, brannten noch. Das unruhige Lacht warf Reflexe an Wände
und Decke.
MacCarthy rauchte noch eine Zigarette, sah sich in dieser Zeit die
zahlreichen Bücher an, die entweder dicht an dicht in
handgezimmerten Regalen standen, oder auch in Ecken aufeinander
gestapelt lagen.
Selbst auf einem alten Schreibtisch lagen großformatige
Bände zuhauf. Er nahm den einen und anderen zur Hand und
blätterte flüchtig darin. Er entdeckte Werke über
Astrologie, Astronomie, Naturlehre. Es gab Folianten mit
handkolorierten Karten und Bildern.
Auch im Schreibtisch lagen Bücher. Werke über Kunst und
Literatur.
Alle Bücher waren abgegriffen, manche zerlesen. Die
Bände rochen stockig. Diese Bibliothek, die Clearwater hier
zusammengetragen hatte, war allein ein Vermögen wert. Und es gab
nicht einmal eine Aufstellung darüber.
In der unteren Schublade entdeckte MacCarthy ein Buch, das seine
besondere Aufmerksamkeit auf sich zog.
Dicke, handgeschöpfte, ungleichmäßig lange und
gezackte Blätter wurden von einem dicken Ledereinband
zusammengehalten. Die Blätter waren mit gestochen scharfer
Schrift beschrieben. Handgeschrieben! Es gab Bilder darin, deren
Farben frisch und kräftig waren, als wären sie erst vor
kurzem aufgetragen worden.
Die handkolorierten Blätter zeigten in erster Linie alte
Landschaften, alte Häuser, Rundtürme, Einsiedlerklausen und
Porträts von Menschen.
MacCarthy merkte nicht, wie er sich festlas.
Hier war die Geschichte des »Macgullyghosh-House«
aufgezeichnet. Der Einsiedler Tabor, der es zweihundert Jahre nach
der Hinrichtung von Kiuna Macgullyghosh durch einen Hexenjäger
erbaut und bezogen hatte, schien größten Wert darauf
gelegt zu haben, alle Details über Kiuna Macgullyghosh
zusammenzutragen.
Das Buch trug den Titel »Kiuna Macgullyghosh, Geheimnis und
Leben einer Druidin, dargestellt von Tabor, dem Einsiedler.«
Er merkte nicht wie die Zeit verging. Die Kerzen brannten
herunter, zwei Öllampen brannten aus. Irgendwo im Haus knisterte
es leise.
MacCarthy vergaß die Zeit.
Und dann schlug er die Seiten mit den kolorierten Bildern nochmals
auf. Er betrachtete die fremden Gesichter, Gesichter von Menschen,
die vor rund fünfhundert Jahren lebten. Tabor war ein wahrer
Meister gewesen. Er hatte die Bildtafeln nach zeitgenössischen
Stichen angefertigt und koloriert. Die Bildtafeln zeigten
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