Macabros 002: Fluch der Druidin
das Haus und die
Einsiedlerklause etwas entdeckt, was den anderen nicht aufgefallen
war.
Der Staubteppich um den Schrank herum war nicht
gleichmäßig stark abgenutzt gewesen. Und im gleichen
Augenblick, als sie das erkannt hatte, war sie davon überzeugt,
daß es hinter dem Schrank einen Durchlaß gab.
Dieser Gedanke erfüllte sie mit solcher Macht, daß sie
darüber erschrak.
Sie wußte einfach, daß es hinter der Schrankwand ein
Loch gab, das in einen geheimen Bezirk des
»Macgullyghosh-House« führte.
Sie hatte gehofft, daß MacCarthy bald nachdem die anderen
gegangen waren, ebenfalls die Kerzen und Lampen löschen
würde. Aber diesen Gefallen hatte er ihr nicht getan.
Sie aber hatte es nicht länger erwarten können, den
Geheimgang aufzusuchen und herauszufinden, ob es ihn wirklich
gab.
Es hatte ihr ein wenig Mühe bereitet, den Schrank
abzurücken. Aber es war ihr gelungen. Unbemerkt war sie in das
Dunkel gehuscht, hatte eine Kerze angezündet und folgte dem Gang
bis vor eine massive Tür.
Ein Holzriegel lag vor der Tür. Den brauchte sie nur
abzunehmen.
Nyreen Matobishs Gesicht war sehr ernst. Weder Furcht noch
Unsicherheit beirrten sie. Dieser Weg, diese Umgebung waren ihr
seltsam vertraut.
Wie kam das?
Sie hatte das Gefühl, zu Hause zu sein. Sie kannte hier jeden
Fußbreit Boden.
Vorsichtig öffnete sie die Tür. Knarrend schwang sie
nach innen.
Die Kerze leuchtete in den kleinen, geheimen Raum, in den Kiuna
Macgullyghosh oft ihre rätselhaften Besuche gemacht hatte.
Kellerluft schlug Nyreen Matobish entgegen.
Hinter dem brüchigen Vorhang, der irgendwann einmal
pechschwarz gewesen war, hing ein riesiger Spiegel, der bis an die
Decke reichte.
Schräg dem Spiegel gegenüber stand ein alter Tisch.
Davor ein Stuhl, auf dem Stuhl saß eine menschliche
Gestalt.
Nyreen Matobish erschrak nicht.
Ein brüchiges, graues Gewand mit Kapuze umhüllte die
Gestalt.
Vierhundert Jahre hatten Fleisch und Haut zerfallen lassen.
Zurückgeblieben war nur noch das Skelett.
Die rechte Knochenhand hielt einen Stab, auf dem ein Drudenstern
befestigt war.
Lautlos wie ein Schatten schob sich Nyreen Matobish näher.
Das Kerzenlicht überhuschte den Totenschädel. Unter der
Kapuze sahen die Strähnen verblichener, schulterlanger Haare
hervor, die einst flammend rot gewesen waren.
Nyreen Matobish schloß die Augen. Ein Zittern machte sie
ihres Körpers bewußt.
»Mein Körper«, packte sie die Erkenntnis, »der
nicht mein Körper ist. Ich habe ihn mir geliehen. Einer von den
vielen, die ich in vier Jahrhunderten geliehen habe, bis ich endlich
in den Körper heimkehren darf, der – mein Körper
ist.«
Mit einem Mal verstand sie Lawrence Clearwater. Der
Antiquitätenhändler kannte durch das Buch des Einsiedlers
Tabor die Geschichte und das Geheimnis des
»Macgullyghosh-House«. Er erfuhr von dem Fluch, den Kiuna
Macgullyghosh ausgestoßen hatte. Sie hatte versprochen
wiederzukommen.
Lawrence Clearwater hatte den Text wie kein zweiter studiert.
Seele und Geist Kiunas waren in den Körper eines neugeborenen
Kindes gefahren. Die Eltern zogen ein Mädchen groß, dessen
Leib ihr Kind war, aber seine Seele war Kiuna Macgullyghosh.
Seitdem hatte sie hundertmal einen alten Körper verlassen und
war in einen neugeborenen eingezogen, in dem sie geblieben war –
ein Leben lang.
Nun war sie im Körper der Nyreen Matobish zu Gast und stand
hier vor ihrem eigenen Körper.
Der Antiquitätenhändler Lawrence Clearwater hatte ihr zu
dieser entscheidenden Begegnung verholten, nicht weil er das gewollte
hätte. Er war hier – im Hause Kiunas, der Druidin – zu
einem Werkzeug des Fluches geworden, der nach Erfüllung
drängte.
Kiuna Macgullyghoshs Reise durch die Zeiten war zu Ende.
Ein gefährliches Lachen kam über die schönen Lippen
der jungen Nyreen, die plötzlich nicht mehr wie ein
liebreizendes Mädchen aussah. Ihre Schönheit verlor sich
nicht. Aber es war plötzlich eine satanische, teuflische
Schönheit, die ihre rassigen Züge beherrschte.
Nyreen Matobish stellte die brennende Kerze auf den Tisch vor dem
Körper, der ihr vor vierhundert Jahren gehört hatte.
Sie schwankte. Geist und Seele fuhren aus.
Nyreen Matobish fiel entseelt zu Boden.
Unsichtbar vollzog sich der makabre Wandel.
Das Knochengerüst in dem brüchigen Umhang straffte sich,
die Finger umschlossen fester das Drudenzepter. Rasselnd fielen die
durchgerosteten Kettenglieder vom Körper ab, als das Skelett
sich vom Stuhl erhob und sich über die
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