Macabros 005: Die Schreckensgöttin
Umgebung war ihm nicht neu. Edgar Laughton hatte sie
in allen Details beschrieben.
Hellmark war den gleichen Weg gegangen. Er befand sich im Tempel
der Schreckensgöttin. Wo aber stand der Tempel? Wie kam man
dorthin?
Durch den Spiegel im Zimmer von Betty Roughly! Daran erinnerte er
sich ganz genau. Er hatte nichts vergessen. Der anfänglichen
Schwierigkeit, seine Gedanken wieder in Ordnung zu bringen, folgten
nun klare, logische Überlegungen.
Sein Gedächtnis funktionierte einwandfrei.
Die göttlich Schöne lächelte ihn an. In diesem
Lächeln, dem Blick dieser Augen standen Versprechen, die nicht
schwer zu deuten waren.
Alles, was sich an furchtbarem Gerümpel um ihn herum zeigte,
war vergessen. Die Frau hatte eine Ausstrahlung, der man verfallen
mußte.
Sie trug das kohlschwarze Haar hüftlang. Die
violettschimmernde Haut war unverhüllt Ihren Busen bedeckten
zwei grinsende Totenschädel. Es war alles so, wie Edgar Laughton
es geschildert hatte.
Auch die dämonischen Wesen zu ihren Füßen fehlten
nicht.
Es waren besonders ausgesucht kräftige Exemplare von
Höllenhund und Vampirkatze und einem mannsgroßen
vogelartigen Schuppentier mit einem glühenden Haubtierauge. Das
andere Auge oberhalb des gekrümmten Schnabels fehlte. Ein
häßliches schwarzes Loch gähnte.
Das echsenartige Vogeltier bewegte seine vier scharfen
Krallen.
Hellmark hatte einen schrecklichen Verdacht. Er mußte an
sein zurückliegendes Abenteuer mit der irischen Druidin denken.
Er war in die vierte Dimension geschleust worden. Alle Anzeichen
ließen keinen Zweifel zu.
Der Spiegel im Schlafzimmer von Betty Roughly in der realen,
dreidimensionalen, mit menschlichen Sinnen wahrnehmbaren Welt war ein
transdimensionales Tor, das er gezwungenermaßen hatte passieren
müssen.
Eine Ohnmacht war erfolgt.
Während er noch mit seiner Bewußtlosigkeit
kämpfte, war er hierher verschleppt und vor die Füße
der Schreckensgöttin gelegt worden.
Er musterte sie und rappelte sich auf. Niemand hinderte ihn
daran.
Sie war schön – und abstoßend. All die Dinge, mit
denen sie sich umgab, verkörperten Haß und Tod. Nur sie
selbst schien eine unvergängliche Blüte zu sein.
Hellmark wischte sich über seine schweißtriefende
Stirn. Das Blut auf seinem Kopf und seinem Gesicht war getrocknet. Er
löste Blutkrusten aus den Augenwinkeln und von den Brauen.
Er versuchte sich darüber klarzuwerden, wie lange er wohl
bewußtlos gewesen war.
Stunden, Tage – oder waren nur Minuten vergangen?
Er warf einen Blick auf seine Uhr.
Sie stand still.
Sie war genau in dem Moment stehengeblieben, als er die
transdimensionale Grenze überschritt.
»Über Betty Roughly also«, murmelte er furchtlos,
und je länger er auf den Beinen stand, desto kräftiger
fühlte er sich. Er blickte an sich herunter. Seine Hose sah
mitgenommen aus, das Hemd auf seinem Leib war ein grauer Fetzen. Er
sah aus, als hätte er seit Wochen nicht mehr gebadet.
Die Zeit! gellte es wieder in seinem Hirn auf. Er hatte jegliches
Gefühl für die Zeit verloren. Kein Wunder. Dreidimensional
denkende und fühlende Individuen kannten keine Zeit. Das begriff
man nicht. Man unterstand neuen physikalischen Bedingungen.
»Betty Roughly ist eine Hexe«, fuhr er fort, ohne die immer
noch lächelnde Schöne aus den Augen zu lassen. »Sie
liefert auch Menschenopfer. Edgar Laughton und Fleet waren zwei
Personen, denen jedoch die Rückkehr wieder gelang. Die
Hölle konnte sie nicht halten.«
»Das ist ein Irrtum«, wurde ihm geantwortet. Die
feuchtschimmernden Lippen glänzten verführerisch. Die
faszinierend schöne Frau streckte die samten schimmernden
Glieder, lehnte sich in dem makabren Thron zurück und sah
Björn Hellmark von oben herab an. »Aber in der letzten Zeit
ist einiges nicht nach Plan gelaufen. Ich habe mit Schwierigkeiten zu
kämpfen. Neid und Mißgunst gibt es in jeder Welt, wie es
Gute und Schlechte, Gerechte und Ungerechte in jeder gibt. Es gibt
viele Tempel in diesem Bezirk, mit Fürsten und Göttinnen,
mit Zauberern und Hexen. Jeder kämpft gegen jeden. In dem
Durcheinander der Kämpfe der letzten Zeit konnten die, denen
einst der Weg durch das transdimensionale Tor gestattet wurde, auf
Flucht sinnen. Aber was hatten sie davon? Was hatte James Fleet
davon? Er verlor sein Gedächtnis. Wer von hier zurückkehrt,
weiß nichts mehr über sich und das, was er erlebt
hat.«
»Und trotzdem mußte er sterben?«
»So will es das Gesetz.«
»Wer hat diese Gesetze gemacht?«
»Ich.
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