Macabros 005: Die Schreckensgöttin

Ich bin die Herrscherin. Diese Welt begreift nur, der
in ihr lebt. Edgar Laughton konnte sich bisher gut verbergen. Aber er
ist hier gewesen, Björn Hellmark. Auch er konnte die Grenze
zurück passieren. Aber er verlor das Gedächtnis. Zwei
Fälle von Tausenden, die in den vergangenen Jahrzehnten und
Jahrhunderten dreidimensionaler Zeitrechnung wieder in die reale Welt
zurückkehren konnten. Aber davor schafften es auch andere. Man
nannte sie besessen und geistesgestört, und viele, die
versuchten, eine Welt jenseits der dritten Dimension nachzuweisen,
die eine flüchtige Erinnerung daran hatten, weil sie irgendwann
einmal mit einer Hexe oder einem Magier eine Reise über die
Grenzen gemacht hatten, wurden verlacht oder auf dem Scheiterhaufen
verbrannt. In der Vergangenheit gibt es viele Zeugnisse von der
Existenz dieser Welt, aber niemand vermochte Zeichen zu lesen,
niemand die Bilder zu deuten. Hier ist nicht das Jenseits. Hier ist
der Zwischenraum, in dem Geister und Dämonen ihren Ausgangspunkt
haben. Es ist die andere Seite des Diesseits.«
    »Ich möchte zurück. Laughtons Schicksal ist
für mich geklärt«, sagte Hellmark einfach.
    Die Schreckensgöttin lachte leise.
    »Dann gehen Sie. Aber denken Sie, das wäre so einfach?
Fleet hat vier Jahre gebraucht und Laughton sogar dreißig.
Menschenjahre. Zwei Experimente, die schief gingen. Ich hätten
ihre menschliche Erinnerung gleich auslöschen sollen. Dennoch
waren sie glücklich. Auf ihre Weise. Sie hatten mich. Auch ich
kann Sie glücklich machen. Das liegt an Ihnen. Ich kann Sie aber
auch töten, Björn Hellmark. Vielleicht sollte ich das auch
tun. Es bedeutet mehr Macht für mich. Ich weiß, wer Sie
sind und unter welchen Bedingungen Ihr Leben steht. Die Dämonen
suchen Sie. Hier werden sie ein leichtes Spiel mit Ihnen haben, wenn
ich Sie nicht verstecke.«
    »Und warum wollen Sie das tun?«
    »Spielerei. Es macht Spaß, einen Menschen um sich herum
zu haben. Hier in diesem Tempel, der für die Menschen
normalerweise tabu ist. Ich habe für meine menschlichen Freunde
immer eine kleine Überraschung bereit.« Sie streichelte
über den steinernen Kopf der einen zu ihrer Rechten
gebückten Figur. »Sie wurden zu Stein, um mir immer nahe zu
sein«, murmelte sie. »Was ich aus Ihnen mache, weiß
ich noch nicht. Sie sind nicht freiwillig gekommen, bei Ihnen geschah
es mit Zwang, und mit einem gewissen Unbehagen muß ich
feststellen, daß Ihr Gedächtnis noch hundertprozentig
funktioniert. Das ist bei den meisten nicht der Fall gewesen. Auch
bei Fleet und Laughton nicht. Nach kurzer Zeit hatten sie sich
akklimatisiert und fühlten sich wohl.«
    Hellmark fiel ein zurückliegendes Abenteuer ein. Da waren ihm
Menschen begegnet, die durch Magie und die Anrufung von Dämonen
in diese Welt Eingang gefunden hatten und schließlich ganz in
die höllische Umgebung aufgegangen waren. Nach einiger Zeit
hatten sie ihre menschliche Existenz aufgegeben und waren zu
Ungeheuern geworden. Er machte eine entsprechende Bemerkung und
erinnerte daran, daß Fleet und Laughton lange Zeit hier gewesen
waren und doch ihre menschliche Gestalt beibehalten hatten. Alles war
voller Widersprüche.
    »Nein, das sind keine Widersprüche«, wurde ihm
erklärt. »Diese Welt ist vielschichtig, wie es die andere
auch ist. Es gibt Menschen verschiedener Hautfarbe. Aber es gibt
nicht nur Schwarz und Weiß. Es gibt viele Abstufungen. Es kommt
auch darauf an, über welches Tor man die transdimensionale
Schwelle überschritten hat. Das Tor, durch das Sie kamen, ist
ein normaler transdimensionaler Eingang. Aber es bietet keinen
Ausgang. Rundum ist London. Wir befinden uns mitten in London. Die
Riesenstadt ist nur einen einzigen Schritt von uns entfernt. Und doch
ist sie weiter weg als die nächste Milchstraße. Für
Sie ist sie unerreichbar geworden.«
    Es klang belustigend und drohend zugleich.
    »Fleet und Laughton haben die Grenzen gesprengt«,
entgegnete Hellmark.
    »Da kam ihnen der Zufall zu Hilfe. Das Gespinst zwischen
dritter und vierter Dimension ist wie eine unüberwindliche
Mauer. Aber besondere Vorgänge in jedem Bezirk dieser Welt,
können es transparent machen. Die kämpferischen
Auseinandersetzungen zwischen mir und dem Nachbarherrscher streben
ihrem Höhepunkt zu. Dabei werden Kräfte frei, die das
Gefüge von Raum und Zeit durcheinanderbringen. Magische
Kräfte wurden zu allen Zeiten registriert und beschrieben.
Plötzlich verschwanden Schiffe von den Weltmeeren. Die Wand zur
vierten