Macabros 009: Blutregen
sie zu.
Wie ein waidwundes Tier rutschte Camilla weiter.
Ihre Haare waren völlig aufgelöst und hingen
strähnig in die Stirn.
Es zischte.
Einer der gezackten Speere.
Er sauste genau auf sie zu.
Das Blut in ihren Adern gefror zu Eis.
Aus! war das einzige, was sie noch denken konnte.
*
Er war nicht bei vollem Bewußtsein, aber auch die Ohnmacht
nahm ihn nicht ganz gefangen.
Er spürte den Sturz in die Tiefe und konnte nichts dagegen
tun.
Seine Hände rutschten an den eisernen Sprossen ab, er konnte
sich nicht festhalten.
Björn Hellmark kam mit den Füßen auf.
Er spürte den Schmerz wie eine Flamme.
Seine Augenlider, halb geschlossen, zitterten.
Dunkelheit hüllte ihn ein, die Schmerzen wichen zurück.
Er befand sich auf der Schwelle zwischen Wachen und Träumen.
Wilde Farben mischten sich unter die aufquellende
Schwärze.
Bilder formierten sich.
Er empfing Eindrücke. Geräusche. Sphärenhafte
Klänge.
Eine Stimme. Ein Druck in seinem Hirn. Jemand teilte ihm etwas
mit. Jemand, den er kannte und doch noch niemals gesehen hatte.
Al Nafuur!
»Al Nafuur?« Björn glaubte, daß der
geheimnisvolle Magier ihm etwas mitzuteilen hatte: ein Ziel, einen
bestimmten Ort.
Bilder. Wie ein Mosaik setzten sie sich in seinem dämmernden
Bewußtsein zusammen.
Er preßte die Augen zusammen. Fest wie im Krampf, seine
Backenmuskeln zuckten und seine Lippen bewegten sich, als ob er etwas
sagen wolle.
Die Bilder wurden klarer.
Windgepeitschte Kokospalmen, deren Wipfel hart auf die Seite
gefegt wurden.
Plötzlich war er fort.
In einem Traumreich.
Aber es war kein Traumreich.
Sein Körper lag in der Enge des nachtschwarzen Schachtes und
Ratten krochen über ihn hinweg, wurden angelockt von dem warmen,
sich schwach bewegenden, kaum atmenden Körper.
Zur gleichen Zeit aber war Hellmarks Bewußtsein so weit weg,
daß er den Schrecken der Wirklichkeit nicht mitbekam.
Sein Bewußtsein schwebte woanders, sein Geist nahm klar und
deutlich Dinge war, die er als Hellmark nicht erfaßte –
aber als Macabros.
Sein Doppelkörper entstand, auf der anderen Seite der Erde,
ohne daß er wußte, wie er ausgerechnet dorthin gekommen
war. Denn er konnte in dem Zustand, in dem er sich augenblicklich
befand, den Vorgang nicht steuern.
Er nahm voll die Umgebung in sich auf, stand nur einen Schritt von
der Stelle entfernt, wo eine junge Frau, über und über mit
Blut besudelt, sich schreiend auf dem Boden herumwälzte.
Aufquellende Wolken hingen so tief, daß man glauben mochte,
man würde jeden Augenblick mit dem Kopf darin versinken.
Die Fremde schrie gellend auf.
Etwas Langes, Gezacktes stach aus der Luft, verfehlte die Frau um
Haaresbreite.
Aber da war plötzlich etwas anderes.
Ein riesiger Fisch teilte die Luft, stand wie ein Koloß vor
ihm. Das riesige Maul war weit aufgerissen, und Macabros konnte
hineinsehen wie in eine offenstehende Scheune.
Die Fremde schrie, streckte abwehrend die Hände aus.
Es waren Bilder aus einem Alptraum.
Macabros warf sich vor.
Ein Mensch befand sich in Gefahr. Er wußte nicht, wieso er
hierherkam, wo er sich befand. Er handelte, weil er so handeln
mußte.
Wie eine Raubkatze sprang er die Fremde an, riß sie
zurück, jagte drei, vier, fünf Schritte unter dem hellen,
feuchtglänzenden Bauch des Fisches weg.
Macabros zog Camilla Davies über den rauhen, nassen
Boden.
Etwas Weiches schlug gegen seinen Kopf.
Macabros taumelte.
Der riesige Fisch schien sich nicht mehr in der windgepeitschten
Luft halten zu können.
Er schlug mit seiner Schwanzflosse um sich und taumelte. Es war,
als ob die Schwerkraft der Erde ihn herunterhole.
Macabros wurde zur Seite geworfen. Er ließ Camilla Davies
nicht los.
Der Fisch krachte gegen den Zaun. Wie Streichhölzer knickten
die Latten. Der Pfahl, auf dem das Geisterhäuschen stand,
krachte.
Der kleine Tempel mit den Blüten und Früchten auf dem
Altar flog durch die Luft.
Der unheimliche Riesenfisch warf ruckartig den Kopf hoch. Seine
Schwanzflosse peitschte rasend.
Es krachte, es barst.
Die Hauswand brach ein, Fenster klirrten.
»Aber das kann nicht sein!« Camilla Davies krallte ihre
Fingernägel in den Arm des Mannes, der sie davor bewahrt
hätte, unter dem Fisch begraben zu werden.
Macabros hockte neben Camilla auf dem Boden.
Menschen stürzten aus dem zerstörten Haus.
»Das kann nicht sein«, gurgelte Camilla. »Es findet
nicht hier statt – nicht in dieser Dimension!«
Sie richtete den Blick empor in den düsteren Himmel.
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