Macabros 013: Mandragora - Herrin der Angst
sie in sich. Das
Geschöpf, dem sie vertraute, zu dem sie sich hingezogen
gefühlt hatte, machte sich lustig über sie.
»Zu allen Zeiten hat man Mandragora verehrt«, fuhr die
Stimme in ihr fort. »Die alten Ägypter sahen in mir Isis,
die Inder Kali. Seit Anbeginn der Welt existiert Mandragora. Man
liebt mich und man verflucht mich. Die einen sehen in mir eine
Göttin – die anderen eine Teufelin.«
»Wer bist du wirklich?« hauchte Erika Paller.
Ihre Augen befanden sich in ständiger Bewegung. Sie suchten
Mandragora. War sie eine der Spukgestalten, die hinter der grauen
Glaswand tobten? Immer wieder mußte sie hinsehen und
erschrecken, welche der monströsen Gestalten Mandragora annehmen
konnte.
Die Stimme in Erika lachte verächtlich.
»Wer ich wirklich bin? Geist – reiner Geist. Und den
kannst du nicht sehen.«
Erika Paller schluckte. Das Geschehen überstieg alles, was
sie bisher gedacht und gefühlt hatte.
Würde sie ungeschoren davonkommen? Würde sie diesen
Horror einmal vergessen und wie eine zweite Haut abstreifen
können?
»Nein«, sagte Mandragora hart.
»Du willst mich hier festhalten?«
»Ja.«
»Das kannst du nicht.«
»Doch. Erinnerst du dich an unser erstes Gespräch? Ich
sagte, daß du eine Aufgabe zu erfüllen hättest. Du
wirst dich ihr nicht entziehen können.«
»Du hattest von Hilfe gesprochen. Aber ich kann dir nicht
helfen – selbst dann nicht, wenn ich dazu imstande
wäre.«
Wieder das aufreizende Lachen, das wie der Mißton eines
schlecht gespielten Instrumentes in ihr nachhallte.
»Wer erst einmal hier ist, für den gibt es kein
Zurück mehr. Ein uralter Fluch bannt mich in diese Welt. Ich
kann sie nicht mehr verlassen, und die Menschen haben mich fast
vergessen. Nur wenige wissen von mir und noch weniger gelingt es, den
Weg zu mir zu finden. Aber du bist gekommen. Und du wirst zur Erde
zurückkehren… als meine Tochter.«
Hatte sie richtig gehört?
Erika Paller zwang sich zur Ruhe. Dies alles konnten Nachwirkungen
sein. Sie hatte zu wenig Erfahrung. Sie mußte sehr genau
registrieren und durfte nichts vergessen. Alles was sie jetzt
hörte und sah konnte von größter Bedeutung sein, wenn
sie mit Bernd diese Dinge erörterte.
»Durch dich wird mir möglich sein, den Fluch zu
überspielen, der mich einst getroffen hat.«
»Du bist nur ein Traum«, stieß Erika Paller
hervor, obwohl sie mit jeder Faser ihres Herzens die Wirklichkeit des
Erlebens spürte. »Du wirst vergehen. Ich muß nur
durchhalten… durchhalten… nicht den Verstand
verlieren… und das nächste Mal… die Dosis nicht so
stark machen.«
»Es wird kein nächstes Mal geben.«
»Die Wirkung des Mittels, das ich genommen habe, wird
nachlassen. Ich weiß es.«
»Nichts weißt du, Schwester! Dein Geist und deine Seele
haben deinen Körper verlassen. Er liegt steif und tot auf der
Erde.«
»Das ist nicht wahr!«
Panik ergriff Erika.
»Es ist wahr.«
»Ein Wesen wie du kann nicht die Wahrheit sprechen.«
»Du wirst es erleben. Du wirst hier bleiben, für alle
Zeiten, denn dein Geist und deine Seele gehören mir, und meine
Tochter wird deinen Körper übernehmen.«
Sie wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, aber es kam ihr
schon sehr lange vor. Wann endlich würde die Wirkung des Giftes
nachlassen? Wann endlich würde sie wieder die vertraute Umgebung
wahrnehmen?
Sie versuchte sich einzureden, daß sie in Wirklichkeit in
dem kleinen Zimmer des Wochenendhauses saß, daß ihr Geist
nur eine Astralreise unternahm und bald wieder in ihren
bewußtlosen Körper zurückkehren würde.
Sie entfernte sich von der Glaswand, hinter der sich die Gesichter
der dämonischen Wesen zeigten.
Der Wind heulte. Draußen war es grau, der trübe Himmel
hing bis auf den zerklüfteten Erdboden herab.
Erika versuchte der Angst Herr zu werden und die widerstreitenden
Gefühle unter Kontrolle zu bringen.
»Ja, sieh dich um«, sagte die Stimme Mandragoras in ihr.
»Mach dich vertraut mit deiner neuen Welt! Genieß deine
Existenz, bevor das ewige Dunkel dich umgibt.«
Erika Paller preßte die Lippen zusammen und sagte kein
Wort.
Was sollte sie genießen? Diese Höhle, in die Mandragora
sie gelockt hatte? Diese Alptraumwelt, inmitten eines unerforschten
Kosmos, in dem das Grauen Gestalt annahm?
Schleier wehten empor. Aus Schemen wurden Gestalten, menschliche
Männer und Frauen, die ineinander verschmolzen zu einem riesigen
menschlichen Kopf, zu einem gigantischen Gesicht.
Ein schöner Mensch, mit sinnlichen Lippen,
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