Macabros 016: Geisterheere aus dem Jenseits
griff wieder
zur Flasche, die sie neben sich auf der obersten Stufe stehen hatte.
»Lili aber hat… gesehen…« Sie lallte, und es fiel
ihr sehr schwer, die Flasche richtig zum Mund zu führen. Rotwein
lief ihr die Mundwinkel herab. Die Frau machte einen verwahrlosten
Eindruck. Mit zittriger Hand wischte sie durch die Luft, und
gestikulierend wollte sie den Zuhörern klarmachen, daß sie
nicht betrunken sei, obwohl sie sich kaum auf den Beinen halten
konnte.
Viele amüsierten sich und riefen ihr etwas zu, um eine
unkontrollierte Antwort zu erhalten. Lachen…
Und das in dieser Situation, während keine zehn Meter weiter
ein Ermordeter auf dem Boden lag.
»Wie hat der Mörder denn ausgesehen?« wollte jemand
wissen.
»Ihr könnt’s ruhig… wissen… und ich
sag’s auch der Polizei… Ein Skelett, ein Reiter und ein
Pferd, ein Schwert in der Hand.«
Alles lachte dröhnend.
Nur Björn nicht. Es war ihm, als würde jemand mit
eisiger Hand seinen Rücken entlangfahren.
»Ein Pferd mit einem Schwert in der Hand!« krähte
der mit der öligen Stimme irgendwo in der Menge. »Lili
sieht keine normalen weißen Mäuse, sondern Pferd mit
Schwert in der Hand.«
Die Menge tobte. Lili knurrte und fauchte wie eine wilde Katze und
mußte sich krampfhaft am Wohnwagen festhalten, um nicht von der
Treppe zu stürzen.
»Ihr werdet schon sehen…« kreischte sie. Dann
winkte sie ab, als lohne es nicht, sich weiter mit diesem Volk
abzugeben.
*
Die Polizei kam. Sie hatte ihre liebe Not, eine Gasse in das
Gewirr aus Menschenleibern zu bahnen.
Die Neugierigen wurden aufgefordert, sich weiter
zurückzuziehen und die Arbeit der Beamten nicht zu
behindern.
Ein Arzt nahm die erste flüchtige Untersuchung vor. Doch da
war nichts mehr zu machen.
Blitzlichter flammten auf. Umstehende wurden befragt, ob sie etwas
gesehen hätten, aber es gab keine Zeugen.
Der Mann war erstochen worden, soviel bekam Björn mit, dem es
inzwischen gelungen war, näher an den Tatort heranzukommen.
Pepe hatte sich allein auf den Weg zur Geisterbahn gemacht.
Lautstark erfüllte die Musik und das Geschrei der Ansager die
Luft.
Björn interessierte sich für den Vorfall. Die eine oder
andere Bemerkung war ihm zu Ohren gekommen und weckte ein Gefühl
zunehmenden Unbehagens in ihm.
Der Mann war etwa zu der Zeit erstochen worden, als der Vorfall
mit Susette Lerue passierte.
Und es gab noch etwas, das ihn beschäftigte und seine
Kombinationen anregte.
Der Mann war ausgeraubt worden. Das heißt: er sollte es
offensichtlich werden.
Seine Geldbörse und seine Brieftasche lagen in unmittelbarer
Nähe. Sämtliche Taschen waren umgestülpt worden.
Aber offensichtlich fehlte nichts, denn erstaunlicherweise war
auch das Geld noch vorhanden. Teilweise steckte es noch in den
Fächern der Brieftasche oder lag auf dem Boden. Der Mörder
hätte genug Zeit gehabt, das Geld an sich zu nehmen. Aber darauf
war es ihm nicht angekommen.
Was hatte er gesucht?
Björn ertappte sich dabei, daß er sich immer intensiver
mit dem rätselhaften Vorfall beschäftigte, der für die
untersuchenden Beamten jedoch offenbar weniger rätselhaft war
als für ihn.
Für sie gab es eine plausible Erklärung für alles.
Und in diese Erklärung paßte auch, daß der
Mörder von seinem Opfer und der Beute abließ.
Er war gestört worden – oder glaubte zumindest
gestört worden zu sein. Er ergriff die Flucht. Ein
Geräusch, ein Schatten hatte ihn möglicherweise erschreckt,
denn derjenige, den der Täter fiktiv angenommen hatte,
informierte nicht die Polizei. Die Nachricht war von einem Gast
gekommen, der seitlich aus dem Zelt herausgekrochen war, um sich den
Umweg zu den Toiletten zu ersparen.
Er hatte den Toten entdeckt.
Die Alkoholikerin wurde vernommen. Zu diesem Zeitpunkt war die
Leiche schon abtransportiert und die Gruppe der Neugierigen hatte
sich aufgelöst. Pepe war noch nicht zurück. Wahrscheinlich
drehte er ein paar Runden mehr. Björn hatte mit dem Jungen das
Zelt als Treffpunkt ausgemacht, falls er nicht selbst zum Ausgang der
Geisterbahn kam.
Hellmark hielt sich in der Nähe des Wohnwagens auf, in dem
Lili wohnte.
Sie hatte den Kommissar und dessen Assistenten hereingebeten.
Das Fenster war aufgeklappt. Hellmark bekam viel von dem
Gespräch mit. Alles drehte sich um die Frage, ob Lili den
Mörder tatsächlich gesehen hatte oder sie sich das nur
einbildete.
Die beiden Beamten kamen zu dem Schluß, das zweifellos das
Letztere angenommen werden mußte.
Die Frau
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