Macabros 016: Geisterheere aus dem Jenseits
andere
Seite.
Dann erst begriff er.
Er schlug die Augen auf, tastete nach dem Hörer und meldete
sich mit einem dumpfen »Oui?«
Am anderen Ende der Strippe meldete sich niemand. Das Freizeichen
ertönte.
Die Türklingel, zuckte es in Alain Munuels Hirn.
Wer, zum Teufel, kam jetzt um diese Zeit?
Draußen war es noch nicht Tag. Der Morgen graute.
Munuel warf einen schnellen Blick auf die Uhr und rieb sich die
Augen, um das Zifferblatt deutlicher zu sehen.
Kurz nach vier Uhr.
Wenn seine Frau nicht im Haus war, dann brachte ihn keine Macht
der Welt morgens vor neun aus den Federn. Lucille nahm an einem
Kongreß teil, der fünf Tage dauerte.
Es klingelte nochmals und länger.
»Ja, ja, schon gut. Ich komme…«
Er verließ das Schlafzimmer barfuß und nur mit Shorts
bekleidet. Im Flur nahm er den Hörer der Sprechanlage ab.
»Munuel, ja?«
»Kriminalpolizei, Monsieur! Bitte, öffnen Sie!«
Alain Munuel verzog die Lippen. »Na, wenn das kein schlechter
Scherz ist. Kriminalpolizei?« Er nahm die Ankündigung nicht
ernst. Da erlaubte sich irgendein Saufbruder einen Witz.
»Es ist kein Witz, Monsieur. Hier spricht Kommissar Loreaun.
Öffnen Sie bitte!«
»Kommissar Loreaun? Ist mir kein Begriff. Können Sie
sich ausweisen?«
»Ja, aber dazu muß ich erst oben sein.«
Munuel zuckte die Achseln und drückte den Türsummer.
Gleich darauf rauschte der Aufzug. Dann folgten Schritte. Alain
Munuel blickte durch den Spion. Zwei Männer kamen auf seine
Wohnungstür zu. Ein größerer und ein kleinerer
untersetzter, der einer halberloschenen Zigarre die letzten Züge
abquälte.
Munuel kannte keinen der beiden Männer.
Der Größere hielt eine Plakette in angemessener
Entfernung vor das Guckloch, als ahne er, daß Munuel dahinter
lauerte und sich vergewissern wollte, wer ihn zu solch ungewohnter
Zeit aus den Federn holte.
Er öffnete, ließ die Besucher aber nicht über die
Türschwelle. Beide Männer sahen auch nicht gerade frisch
und ausgeruht aus, ging es Munuel durch den Kopf, und der
Größere, der sich als Loreaun vorgestellt hatte, meinte,
als hätte er die Gedanken erraten: »Tut uns leid, uns ging
es jedoch auch nicht besser. Wir hätten gern noch zwei Stunden
länger geschlafen. Aber Pflicht ist Pflicht! Sie sind Alain
Munuel, Sohn von Genevieve und Bertrand Munuel, dem Schauspieler, der
vor vierzehn Tagen plötzlich verstarb?«
»Ja.« Das konnte er nun schlecht ableugnen. Die
Fragestellung kam ihm zwar merkwürdig vor, aber vielleicht war
das Loreauns Art, erst mal ins Gespräch zu kommen.
»Würden Sie uns bitte hereinlassen, Monsieur? Hier vor
der Tür ist es unbequem. Wir haben eine Reihe von Fragen an
Sie.«
»Schön, dann kommen Sie herein, obwohl ich nicht dazu
verpflichtet bin«, entgegnete Munuel in Kenntnis seiner Rechte.
»Sie haben keinen Haussuchungsbefehl, und ich weiß bis
jetzt noch immer nicht, was Sie eigentlich von mir wollen. Sie sind
doch sicher nicht hierhergekommen, um mir nur einen guten Morgen zu
wünschen und mich zu fragen, ob ich Bertrand Munuels Sohn bin?
Das hätten Sie sicher mit weitaus geringerem Aufwand erfahren
können.«
»Richtig, wir wollen gern von Ihnen wissen, wo Sie in der
letzten Nacht gesteckt haben?«
Munuel schüttelte den Kopf und lachte. »Im Bett
natürlich, wie sich das gehört.«
»Dann wissen Sie also nicht, was mit Ihrer Mutter passiert
ist?«
Munuel fuhr zusammen wie unter einer eiskalten Dusche. Loreaun
registrierte es sehr genau. Seinen dunklen, aufmerksamen Augen
entging nichts.
»Mit meiner Mutter – was ist mit ihr passiert?«
Pascal! fuhr es Munuel gleichzeitig durch den Kopf. Verdammt! Er
hat eine Dummheit gemacht!
Alain Munuel versuchte sich nichts anmerken zu lassen, aber es
gelang ihm nicht. Die Überrumplungstaktik Loreauns verfehlte
ihre Wirkung nicht.
»Ihre Mutter wurde überfallen, Monsieur, und schwer
verletzt. Die Ärzte haben Bedenken, ob es ihnen gelingt, sie
durchzubringen…«
*
Alain erfuhr alles aus erster Hand.
Ein Tourist hatte die schwerverletzte Genevieve Munuel und deren
tote Köchin Therese gefunden. Auf dem Weg zum Meer hatte sein
Wagen gestreikt. In der Nähe des Munuelschen Landhauses war er
stehen geblieben. Der Mann sah Licht im Haus und marschierte nach
dort in der Hoffnung, Hilfe zu erhalten oder zumindest telefonieren
zu können. Doch niemand öffnete ihm. Er ging um das Haus
herum und fand die Terrassentür offen stehen. Er wäre
niemals eingedrungen, hätte er nicht zwei Beine gesehen,
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