Macabros 021: Abraxas Fluch des Magiers
sagte die Frau leise. Sie
tastete sich vor, die Hände an der bröckeligen Wand
entlangführend, wo die alte, unansehnliche Farbe
abblätterte.
Der Knopf am Lichtschalter war nicht von innen beleuchtet. Sie
ertastete und drückte ihn.
Wieder brannte Licht.
Schon erreichten sie den ersten Stock, und Jutta Stokanova kam es
vor, als nähmen die Treppen überhaupt kein Ende.
Das Geländer wackelte. Man durfte sich nicht allzu fest daran
halten, sonst riß es aus der Halterung.
Es war ein uraltes Haus, in das sie verschleppt worden waren. Ein
Haus an der Themse. Wenn das stimmte, dann würde es nicht allzu
schwer sein, zurück zu finden.
Außerdem mußte ganz in der Nähe des Hauses etwas
passiert sein, was den Entführer und seine Kumpane vor ein
Problem stellte oder zumindest beunruhigte.
Ein Haus, das abgerissen wurde?
Aber dann kamen Jutta und Ruchena im ersten Stock an einer
Tür vorbei. Unter der Ritze sah man einen Lichtstreifen.
Dort lebte jemand. Eine Katze miaute. Es wurde gesprochen, aber
Jutta Stokanova konnte nichts verstehen.
Dann endlich kam der Ausgang.
Kühle Nachtluft fächelte ihre erhitzte Stirn. Ruchena,
arme Ruchena, hämmerten ihre Gedanken, hoffentlich holst du dir
nichts.
Jutta griff nach der Hand des Kindes und zog sie mit sich.
Ruchena sagte nichts.
Drei Sekunden lang verharrte Jutta Stokanova an der Haustür.
Ihr Herz schlug schneller vor Aufregung und Freude.
Eine Straße, links ein großer Parkplatz, dahinter die
Umrisse des weltberühmten Tower.
Und da vorn – Menschen, die in einer Autokolonne gekommen
waren. Vergnügte Menschen, die irgend etwas feierten. Jutta sah,
wie ein junger Mann ein schlankes, graziles Mädchen an den
Hüften packte und durch die Luft wirbelte.
Silberhelles Lachen folgte. Jemand machte Aufnahmen. Zwei
Polizeibeamte, offenbar mit dem Paar oder einem anderen Teilnehmer
befreundet, unterhielten sich angeregt, der eine fotografierte.
Geschafft, erfüllte nur dieser eine Gedanke das fiebernde
Bewußtsein der hübschen Tschechin.
»Wir brauchen keine Angst mehr zu haben, Ruchena. Dort
drüben sind Menschen, wir werden Hilfe erhalten…«
Sie liefen über die Straße, genau auf die Gruppe
zu.
Aus den Augenwinkeln heraus sah die Tschechin noch, daß ein
an der Ecke parkender Wagen anfuhr. Er machte förmlich einen
Satz nach vorn. Im gleichen Augenblick flog etwas Dunkles,
Längliches aus dem Wagenfenster.
Ein Blitz!
Eine Detonation! Schreie…
Jutta und Ruchena Stokanova fühlten und sahen nichts mehr.
Eine Wand aus heißer Luft schleuderte sie zu Boden, ein Arm
wirbelte durch die Luft.
Menschen flogen durcheinander wie aufgestellte Streichhölzer,
die ein heftiger Windstoß umbläst.
Nacht und Vergessen…
Verletzte und Tote…
Insgesamt starben sieben Menschen. So konnte man es später im
Polizeibericht lesen.
Darunter waren eine Ausländerin und ein Kind. Jutta und
Ruchena Stokanova.
Auch sie gehörten zu den Opfern des fanatischen
Attentäters.
*
Er konnte es plötzlich nicht länger aushalten. Seit
einer Viertelstunde lief der zweite Teil der ungeheuerlichen
Darbietungen Abraxas’. Spätestens jetzt hätte Glen
Robinson da sein müssen.
Björn wartete den Beifall der Zuschauer ab, ehe er sich
entschuldigend erhob und seinen Platz verließ. Der Stuhl neben
ihm war noch immer frei. Robinson war nicht gekommen.
Während seines Aufenthaltes in London hatte Björn im
gleichen Hotel wie der Magier ein Zimmer gemietet.
Sein Apartment lag im dritten Stock des Huston-Hotels. Dorthin
ging er, von dort aus rief er an, zunächst noch mal die Wohnung
Glen Robinsons. Es meldete sich noch immer niemand.
Während Hellmark sich einen Cocktail mixen ließ,
verdoppelte er sich.
Unruhe erfüllte ihn. Er wollte Gewißheit haben. Die
Begegnung mit Glen Robinson war wichtig.
Sein Doppelkörper erstand rund sechs Meilen weiter
südlich, im Hause Kingsroad Nummer 126.
Niemand im Haus und auch kein Passant merkte, daß jemand in
die Wohnung eindrang. Er kletterte nicht über den Balkon und
durch das Fenster, er kam nicht durch die Tür.
Er tauchte einfach auf. Wie ein Geist.
Während Hellmarks Originalkörper zur gleichen Zeit in
der Bar des Huston-Hotels den Drink entgegennahm, tauchte sein
Zweitkörper, der sich in nichts vom Original unterschied, in der
Wohnung jenes Mannes auf, mit dem er verabredet war.
Der Mann, der an zwei Orten gleichzeitig sein konnte, registrierte
die neue Umgebung.
Es roch nach Zigarrenrauch. Licht
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