Macabros 023: Gefangen im Totenmaar
Richtung gehen.
Immer geradeaus, direkt auf die seltsamen Pfähle zu, die wie
starre, glatte Arme in den wolkenlosen, fremdartigen Himmel
ragten.
Czernin war alles egal.
Es interessierte ihn schon nicht mehr, wie er starb. Ob er in
dieser trockenen Wüste umkam, ob ein Sandsturm ihm den
Erstickungstod brachte, ob er in einer verborgenen Falle versank
– das alles war ihm gleichgültig. Die Gewißheit,
daß er einfach nicht mehr davonkam, war so stark, daß er
sich keinen Illusionen hingab.
Schritt für Schritt – Meter für Meter legte er
zurück. Weich und heiß war der Sand.
Er näherte sich den seltsamen langen Pfählen und kniff
die Augen zusammen.
Sein Atem stockte, als er die runden Aufsätze besser
erkannte. Das waren Totenschädel!
Einige waren noch frisch, als wäre erst vor wenigen
Augenblicken das Fleisch von ihnen abgefallen, weiß und blank.
Andere schienen schon uralt zu sein, waren blau-grau bis violett, und
dichtes Spinngewebe klebte zwischen den leeren Augenhöhlen,
unterhalb des Kinns und spannte sich bis an die Pfähle
hinunter.
Czernin taumelte auf den nächsten Pfahl zu, klammerte sich an
das harte, trockene Holz und starrte auf den gewaltigen Schädel,
der alle Spuren der Vergänglichkeit zeigte.
Menschenschädel! Mit dem Totenmaar hatte es doch mehr auf
sich, als er immer dachte. Hier existierte mehr als nur das Zeitnetz,
in dem jegliche Bewegung erstarrte, mehr als die Unglücklichen,
die dort gefangengehalten wurden.
Diese Pfähle mit den Totenköpfen waren ein Zeichen
dafür, daß hier noch mehr vorging, etwas, wofür man
ihn auserwählt hatte, um…
Abrupt brachen seine Gedanken ab.
Die Hand war plötzlich da.
Groß und breitflächig, als ob ein Riese nach ihm
greife.
Es ging alles so schnell, und es war alles so unverständlich,
daß er gar nicht mehr dazu kam, seine Gedanken zu ordnen.
Der Boden unter seinen Füßen gab nach, und blitzschnell
wurde er in die Tiefe gerissen.
Czernin schrie noch gellend auf, aber es wurde ihm nicht mehr
bewußt, daß dieser Schrei sich nicht in der
glühenden Wüste ausbreiten konnte, da die riesige Hand ihm
den Mund zuhielt…
*
»Achtung!«
Rani Mahay warf ruckartig den Kopf herum, als Björn rief.
Noch ehe der Mann aus Bhutan begriff, was eigentlich los war,
hatte Björn eine Warnung erhalten und brüllte sein Achtung
heraus.
Al Nafuur warnte!
Hellmark aber kam nicht mehr dazu, sich Gedanken darüber zu
machen, wieso der geheimnisvolle unsichtbare Freund so
widersprüchlich handelte und reagierte. Erst zeigte er ihm den
Weg – und dann warnte er ihn mit einem wilden Aufschrei vor den
Konsequenzen.
Die See brodelte und warf Blasen. Das Motorboot füllte sich
rasend schnell mit Wasser, noch ehe ein Atemzug vergangen war.
Instinktiv wollte Björn noch springen. Da packte ihn schon
der Sog.
Das Boot gurgelte in die Tiefe, der Motor knatterte, Wasser
schäumte um die Flügelschraube.
Hellmark und Mahay, zwei ausgezeichnete Schwimmer, schafften es
nicht, sich aus dem Mahlstrom zu befreien.
Sie schluckten Wasser. In ihren Hirnen entstand eine schwarze
Leere, als würde ein sternenloses Universum auf sie
herabstürzen.
Dann herrschte Stille, bis es kicherte.
»Geschafft!« Das war die Stimme Al Nafuurs. Björn
hatte ihn noch nie so frohlocken hören. Der zynische Unterton in
seinem Bewußtsein war unüberhörbar. »Jetzt sind
sie erledigt! Beide!«
Es schien, als ob eine Riesenfaust ihn durch die Luft schleudere.
Da war kein Wasser mehr, sondern heiße und trockene Luft.
Die eben noch empfundene Leere verschwand. Eindrücke
schlichen in sein Bewußtsein, und er schien die Bilder nicht
nur mit den Augen wahrzunehmen – sondern auch durch seine
Poren.
»Rani?« fragte er schwach. Er vermißte die
Nähe des Freundes.
Björn lag auf dem Boden und rappelte sich instinktiv sofort
auf, um jeder eventuellen Gefahr zu begegnen. Er riß das
Schwert des Toten Gottes aus dem Lederbehälter.
Vor ihm breitete sich eine fremdartige Stadt aus.
Nicht mehr der Wörther See, nicht mehr der sonnige,
kühle Morgen, der blaßblaue Himmel. Ein labyrinthartiges
Gewirr von Gängen und Gassen und prachtvolle Gärten, die
auf terrassenförmigen Gebäuden angelegt waren, boten sich
seinen Augen.
»Rani?«
Von dem Freund gab es keine Spur…
*
»Geschafft?« echote Yron, und sein hartes Gesicht mit
den tiefliegenden Augen wirkte so finster, daß einem
Diesseitslebenden Angst und Bange geworden wäre. »Was ist
– geschafft? Kannst
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