Macabros 023: Gefangen im Totenmaar
ab. Vor den Augen des
Österreichers veränderte das unheimlich aussehende
Höllengeschöpf sein Aussehen. Es war, als ob
giftgrüner Nebel sich verforme und Gestalt annehme. Aus
bizarren, unregelmäßigen Umrissen entstand ein neues
Wesen.
Rudi Czernin schluckte. Er glaubte, in einen Spiegel zu sehen und
starrte sich selbst an. Er stand sich selbst gegenüber!
Kopah lachte. Czernin sah sich selbst den Mund öffnen. Die
Zähne, die sich entblößten, stimmten aber nicht mit
den seinen überein. Ein dunkelrotes Vampirgebiß wurde
sichtbar. Häßlich grinste es ihn an. Wütend warf
Czernin sich nach vorn und stieß die Hand in die
dämonische Erscheinung. Dämon Kopah zerfloß im
gleichen Augenblick nach allen Seiten, und es schien, als wäre
ein Windstoß in ein lose zusammengesetztes Puzzle gefahren.
Oben schwebte der Kopf, links und rechts, vom Rumpf gelöst, die
Arme. Die Beine schwankten hin und her, als würden sie an
dünnen Fäden gezogen.
Selbst der Rumpf zerteilte sich. Eckige, unregelmäßig
geformte Brocken geisterten vor ihm auf und nieder, und Rudi Czernins
Faust stieß ins Leere.
»Du warst schon mal hier«, sagte da Yron, der Schwarze
Priester. »Du hast uns einen großen Gefallen getan, als es
dir gelang, durch den Zeitspalt zu entkommen. Durch dein Verhalten,
durch deine Reden – und durch unsere geschickte Handhabung der
Dinge wurdest du uns zu einer großen Hilfe. Dafür
möchten wir uns bei dir bedanken.«
»Ihr werdet mich wieder freilassen?« Czernin wußte
selbst nicht, wie er dazu kam, diese Frage auszusprechen. Sie
sprudelte einfach über seine Lippen.
Sie lachten beide. Kopah, noch in Czerninsche Einzelteile
aufgelöst, lachte so stark, daß alle in der orangefarbenen
Luft umherschwebenden Stücke vibrierten und aus jedem einzelnen
Teil ein dröhnendes Echo zu erfolgen schien.
Und noch während er lachte, nahm er wieder seine
ursprüngliche Form an, und die Nebelteile flossen zusammen,
verschmolzen ineinander und zeigten das ungeheuerliche
Höllenwesen in seiner ganzen Schrecklichkeit.
»Freilassen, ja«, fuhr Yron fort. Sein finsteres Gesicht
zeigte einen mephistohaften Ausdruck, und in seinen bösen Augen
flackerte ein wildes Licht. »Nicht mehr im Netz der Zeitstarre
gefangen sein. Das hast du dir doch immer gewünscht. Wir geben
dir die Freiheit. Du kannst dich hier bewegen, du kannst gehen, wohin
du willst – nur eines wirst du nicht können: je wieder in
deine Heimat zurückkehren. Ein Nachhausegehen gibt es nicht mehr
für dich!«
Sie wichen von ihm zurück und wirkten wie Traumbilder.
Er konnte sich drehen und wenden, wie er wollte, die Starre, wie
er sie damals kennengelernt hatte, trat nicht wieder auf. Er war auch
nicht im Netz, das da vorn, ganz dicht vor ihm, im Tal hing und
Menschen und Gegenstände aus der Welt, aus der er kam,
festhielt.
Czernin wandte sich um. Vor ihm dehnte sich eine endlose
Wüste. Die Luft stand. Kein Laut… ewige
Gleichmäßigkeit, unendliche Monotonie.
In der Ferne schimmerten die Umrisse eines spitzen, violetten
Berges, der den ganzen Horizont einnahm. Davor dünne,
blauviolette Schatten, die wie Stäbe in den orangefarbenen
Himmel ragten und in etwas verdickten, kugelförmigen
Auswüchsen endeten. Aus dieser Entfernung konnte er nicht
erkennen, was es war. Er stellte fest, daß es hier etwas gab,
was er noch nie wahrgenommen hatte. Sein Wahrnehmungsvermögen
war nach seinem unfreiwilligem Aufenthalt seinerzeit nur auf das Tal
selbst und die Gefangenen beschränkt gewesen.
Wie von einem Magnet angezogen, wollte er in das Tal mit dem
Zeitnetz gehen, aber es gelang ihm nicht. Diese Richtung war ihm
versperrt. Sie wollten ihn in die Wüste schicken? Was bezweckten
sie damit?
Er ging. Schritt für Schritt.
»Du wirst bald Gesellschaft bekommen«, sagte der
Dämon höhnisch. »Und du wirst das wahre Totenmaar
kennenlernen. Wir wollen nur deine Neugierde befriedigen.«
Die Stimme verhallte wie ein Echo, und die beiden Gestalten
lösten sich auf wie ein Spuk.
Czernin war wieder mal allein.
Angst, Verzweiflung, Ratlosigkeit und Hoffnungslosigkeit hielten
sich die Waage. Aber da war noch etwas anderes: Neugierde! Sie trieb
ihn voran.
Er verließ die Schwelle zum Tal und stapfte durch den Sand.
Der Boden war weich, und Czernin sank oft ein bis zu den
Knöcheln.
Die Luft war trocken. Das Gefühl, daß seine Widersacher
etwas ganz Bestimmtes mit ihm vorhatten, wurde sehr stark in ihm.
Sie hatten gelogen. Frei? Er konnte nur nach einer
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