Macabros 023: Gefangen im Totenmaar
wie Schlangen, mit denen er
über die Köpfe der beiden Männer im Motorboot
strich.
Aber weder Björn Hellmark noch Rani Mahay merkten etwas
davon.
Für sie war es der Wind, der sie berührte.
»Soll ich ihm noch mal etwas zuflüstern?« fragte
Kopah zynisch. Seine Worte waren nur von Yron, dem Schwarzen
Priester, wahrnehmbar.
Kopahs Gestalt veränderte sich wieder. Wie jeder Dämon,
so konnte auch er jede beliebige Tier- und Menschengestalt annehmen,
um sich unauffällig in der Welt der Menschen zu bewegen. Aber er
war ein besonderes Exemplar von Dämon. Er konnte nicht nur
Stimmen und Geräusche imitieren – sondern auch Gedanken.
Und auf den besonderen Tonfall ganz bestimmter Gedanken hatte er sich
spezialisiert. »Ich könnte ihm als Al Nafuur
zuflüstern, daß er sich beeilen soll… die Zeit
drängt. Wenn er wüßte, daß ich es die ganze
Zeit war, dessen Gedanken er empfangen hat, würde er sich die
Haare raufen! Ich kann es kaum erwarten, bis die Falle
zuschnappt…«
*
Was sich zeigte, hätte die Kulisse zu einem phantastischen
Traum sein können. Aber es war Wirklichkeit!
In dem gigantischen Netz aus glimmendem Licht hingen Menschen und
Gegenstände. Dieses Tal war wie ein Loch, wie eine Falle. Autos
und Schiffe hingen darin, ein Ozeanriese, ein Atom-U-Boot, und vor
allem zahllose Menschen. Wie Kinderspielzeuge hingen Menschen und
Gegenstände in den Maschen, als hätte ein Riese sie dorthin
gehängt, um sie bei Bedarf wieder zu gebrauchen.
Wie Puppen wirkten die Menschen.
Er selbst hatte in diesem Netz gehangen, ganz oben, am
äußersten Rand.
Wie lange war das her?
Ein Jahr? Zwei? Nur ein paar Wochen oder Monate?
Und wie lange vor allen Dingen war er Gefangener dieses
unheimlichen Netzes gewesen?
Die Erinnerung daran war ausgelöscht, obwohl sich manchmal
aus der Dunkelheit seines Bewußtseins ein Gedanke nach oben
drängte.
Er war als einer der wenigen wieder frei geworden – und er
war vor allen Dingen einer der wenigen, die sich an ihren Aufenthalt
in diesem parallelen Universum erinnern konnten.
Das gefährdete ihn.
Nun hatten sie ihn zurückgeholt. Mit List und Tücke. Sie
scheuten keine Mittel, sie kannten keine Skrupel.
Die Mächte des Bösen führten Schlimmes im Sinn. Und
Czernin hatte nicht mal offen darüber reden können, aus
Angst, ausgelacht zu werden oder in einer Irrenanstalt zu landen. Die
Menschen der Gegenwart waren nicht reif. Sie mußten erst einen
umfassenden geistigen Prozeß durchmachen, ehe ihnen klar wurde,
daß es mehr Dinge gab, als das, was man wiegen, messen oder
anfassen konnte.
Bisher war Rudi Czernin reiner Theoretiker gewesen, aber nun hatte
er die Gewißheit.
Überall gab es Leben. Schreckliches Leben, das den Gesetzen
der Hölle und der Finsternis gehorchte und dessen Existenz in
den alten Legenden und Sagen festgehalten worden war. Die alten
Geschichten von Zauberern und Magiern, von Dämonen und
kühnen Helden. Sie gingen auf eine ferne Wirklichkeit
zurück, von der heutiger Menschengeist nichts mehr ahnte, nichts
mehr wußte oder wissen wollte. Diese Dinge verbannte man gern
in das Reich der Märchen.
Doch in diesen Märchen steckte oft ein wahrer Kern.
Plötzlich ein anderer Gedanke. Dieser seltsame Druck, den er
die ganze Zeit spürte, wich mehr und mehr.
Die Erinnerung half nach.
Damals, als er freikam… er hatte es nicht aus eigener Kraft
geschafft. Da war etwas gewesen, das… aber was? Wieder tauchte
der Gedanke unter in sein Unterbewußtsein, klebte dort fest und
war fühlbar, ließ sich aber nicht mehr erfassen.
Dafür registrierte sein Bewußtsein ein anderes
Gefühl. Etwas war in seiner Nähe.
Zwei Wesen!
Menschen?
Czernin wandte den Kopf. Der eine war schwarz gekleidet, hatte
finstere Gesichtszüge und tiefliegende, dunkle Augen. Czernin
brachte diesen Mann mit einer Person in Verbindung, die er erst
kürzlich gesehen hatte. Ein Boot spielte dabei eine Rolle. Mit
diesem Mann war er im Boot gewesen. Noch jemand begleitete sie. Karla
Teffler!
»Karla?« fragte er beunruhigt.
Ein leises, unangenehmes Lachen drang an seine Ohren. Das
Geräusch kam aus dem schlauchartigen Maul des Dämons Kopah,
der gemeinsam mit dem Schwarzen Priester in das parallel liegende
Universum eingedrungen war, um Czernin, der kaum noch Spuren von
Benommenheit zeigte, jetzt zu betreuen.
»Ich war Karla«, sagte Kopah belustigt. »Es hat mir
Spaß gemacht, mich so zu zeigen. Willst du noch etwas
sehen?«
Kopah wartete erst gar keine Antwort
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