Macabros 023: Gefangen im Totenmaar
es
erfolgte kein Angriff.
Warum war er allein, abgesondert von seinem Begleiter, hierher
gekommen?
Er blickte sich um.
So etwas wie Vertrautheit erfüllte ihn. Diese Gassen, die
endlosen Gärten mit den geheimnisvollen Blüten, die einen
betäubenden Duft verströmten – das alles war ihm nicht
fremd.
Das kannte er doch!
Er ging zum Ende der Gasse und breite, terrassenartige Stufen
führten zu einem der hochgelegenen Gärten. Riesige
Bäume mit ausladenden Wipfeln, dunkelviolettes Laub, in dem sich
goldene Reflexe spiegelten, spannte sich zwischen ihm und dem
Himmel.
Björn beschleunigte seinen Schritt. Er hatte es
plötzlich eilig, die schmalen, gewundenen Stufen emporzuklimmen.
Rankengewächse, kopfgroße Blüten sah er, streckte
seinen Kopf in einen Kelch, atmete tief den verführerischen,
berauschenden Duft und fühlte sich beschwingt wie auf
Flügeln.
Brennende Leidenschaft erfüllte sein Herz und seine Sinne. Im
Gemach der Liebe wurde er erwartet.
Er war nicht Björn Hellmark, er erinnerte sich auch nicht
daran, jemals Macabros gewesen zu sein.
Als er seinen Fuß auf die erste Treppe setzte, schien die
Erinnerung an das schwere Leben eines Björn Hellmark auf der
Erde des 20. Jahrhunderts vergessen, schien es wie ein Traum zu sein,
an den man sich nur ungern und bruchstückhaft erinnert.
Er war Kaphoon, und dort oben wartete seine geliebte Bailea auf
ihn…
*
Er zählte die Stufen nicht. Es waren genau zweihundertsieben.
Die heilige Zahl der Liebe.
Schmale, geschnitzte Säulen, dicht an dicht stehend, wiederum
genau zweihundertsieben, säumten einen Raum, dem etwas von einem
Tempel anhaftete.
Verborgenes, warmes Licht strömte aus dem Blattwerk des
Gigantenbaumes, der das Dach bildete. Das Gefühl großer
Zufriedenheit und Glückseligkeit erfüllte ihn.
Sein Blick fiel auf den breiten Diwan. Schwere Samtvorhänge
flankierten das für eine Königin bereitete Lager.
Bailea, die Prinzessin der Daiss, lag dort wie eine Offenbarung,
von einem weißen Gewand eingehüllt, das die Farbe und
Reinheit ihrer Haut durchschimmern ließ.
Lang und schwarz fiel das Haar auf ihre bloßen Schultern,
das wie aus Elfenbein geschnitzte Gesicht war ihm zugewandt, und ein
verheißungsvolles Lächeln umspielte die schimmernden,
kußbereiten Lippen.
»Bailea!« Schon der Name klang nach Geheimnis und
Verführung.
»Kaphoon!« Ihre Stimme war wie ein Hauch.
Der großgewachsene Mann mit den breiten Schultern und den
schmalen Hüften eilte auf sie zu. Wie ein Krieger, der von der
Schlacht heimkehrt, betrat er das Schlafgemach der Geliebten.
Sein Hemd war zerrissen und durchnäßt, ebenso seine
Hose.
Die Wände des Gemachs waren ausgekleidet mit den kostbarsten
Stoffen, die es gab, und mit Diamantenstaub waren feinste
Bilderszenen eingestickt, die in sämtlichen Farben funkelten,
ohne daß das Ganze überladen und auffällig
wirkte.
Die Rückwand des Lagers bestand aus kostbarer Seide, die
funkelte wie Brillanten, und darauf war in natürlicher
Größe ein Vogel abgebildet. Der eckige Kopf dieses
Flugriesen war nicht besonders schön. Sieben Augen waren das
auffallendste Merkmal. Diese sieben Augen waren dunkelrot wie Rubine
und schienen jede Bewegung in diesem Raum zu beobachten.
Es war der Schwarze Manja, der geheimnisvolle heilige Vogel
Xantilons, den er hier in dieser rätselhaften, verlassenen Stadt
wiederfand – und der ihm in diesen Sekunden nicht das bedeutete,
was er ihm als Björn Hellmark auf der anderen Seite der Welt
bedeutet hätte.
*
Bailea öffnete ihre Arme.
Es bedurfte nicht vieler Worte.
Kaphoon ließ das Schwert fallen, kniete vor der Geliebten
nieder, küßte ihre zart duftenden Hände, ihre
Brüste, die das Gewand kaum verhüllte, und ihr Gesicht.
Ihre schlanken Arme preßten ihn fest an sich. Er spürte
das Schlagen ihres Herzens.
Er blickte zu ihr auf. Das samtene Braun ihrer Haut erinnerte ihn
an jemand, den er kannte, aus einer anderen Welt, einer anderen Zeit,
in der er Björn Hellmark hieß. Aber die Begegnung mit
jener Frau in seinem Leben als Hellmark war nur eine Episode –
wie ein Traum.
Fern und vergessen… Jetzt zählte die Gegenwart!
Er zog sein Hemd aus und schlüpfte aus seiner Hose. Frische
Kleidung lag für ihn bereit. Zartbestickte Gewänder.
Wie auf ein stilles Kommando hin öffnete sich an der Seite
ein Vorhang. Zwei braunhäutige Gestalten, kraftvoll und
muskulös, brachten die Schale mit einer duftenden
Reinigungsflüssigkeit. Sie wuschen ihn
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