Macabros 023: Gefangen im Totenmaar
Al
Nafuur noch nie so fassungslos erlebt. »Vielleicht fällt
dir auch die Erinnerung an diese Dinge schwer. Das kann ich mir gut
vorstellen. Als Unsterblicher in einem Zwischenreich zu existieren,
das mag ganz amüsant sein. Da hat man keinen Körper. Man
braucht ihn nicht mehr. Hier sieht das ein bißchen anders
aus.«
Wäre ein Außenstehender Zeuge dieses stummen
Gesprächs geworden, er hätte nicht begriffen, daß
sich hier zwei Personen unterhielten – ein Mensch und ein
Unsterblicher aus einer fernen Zeit –, denen nichts mehr am
Herzen lag als die Rettung der Menschheit.
Ein außergewöhnliches Schicksal hatte Hellmark dazu
bestimmt, zum Mittler zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem zu werden
und Generalstabsarbeit im Kampf gegen finstere Mächte zu
leisten, die bereits schon einmal versucht hatten, das
Menschengeschlecht zu unterwerfen. Damals waren eine Insel und ein
ganzes Volk untergegangen. Xantilon! Das sagenhafte Reich Mu und
Atlantis mußten seinerzeit in Mitleidenschaft gezogen worden
sein, als die Auseinandersetzung zwischen den Weißen und
Schwarzen Priestern ihrem Höhepunkt zustrebte.
Al Nafuur wußte, daß Hellmark auf der Stelle bereit
war, das Schwert des Toten Gottes zu führen oder sich die
Dämonenmaske aufzusetzen, um gegen seine erbitterten Feinde
anzutreten. Mehr als einmal hatte er sein Leben riskiert, mehr als
einmal war er, der Jäger, zum Gejagten geworden.
»Wohin soll’s gehen?« fragte er in Gedanken, jetzt
ernst und besonnen, ohne daß seine fröhliche Miene sich
geändert hätte.
»Nach Österreich.«
»Das liegt gleich nebenan. Da lauf ich zu Fuß
hin.«
»Ich weiß, daß du die Dinge oft zu leicht nimmst.
Aber vielleicht ist das ganz gut so. Hör auf!« Al Nafuur
schien diesmal viel Zeit zu haben. Die ganze Zeit der Ewigkeit stand
diesem unsichtbaren Unsterblichen zur Verfügung, und doch kam es
in der Regel nur zu äußerst knappen geistigen Begegnungen.
Das lag daran, daß Al Nafuur sich in acht nahm vor den
Beobachtern und Lauschern aus den jenseitigen Schattenreichen, die
zum größten Teil von Molochos, dem
Dämonenfürsten, und seinen satanischen Dienern beherrscht
wurden.
Björn hatte herausgefunden, daß es bestimmte Zeiten
gab, da Al Nafuur sich überhaupt nicht meldete, manchmal nur
unter größten Schwierigkeiten und andererseits wieder
ausgedehnt und breit, als gäbe es keine Barrieren zwischen den
Welten, die so verschieden voneinander waren.
Alles war im Fluß. Die Grenzen verwischten, und meistens kam
Hellmark es so vor, als ob der größte Teil seines Lebens
einem Alptraum gleichkam. Seine Charakterstärke, sein Mut und
seine Entschlossenheit und vor allen Dingen sein Talent,
ungewöhnlichen Vorkommnissen klar und ernst zu begegnen, waren
die Hauptmerkmale seines Wesens. Und diese Eigenschaften waren mit
ausschlaggebend, daß er bisher so konsequent seinen Weg
verfolgt hatte.
Er war als Kind reicher Eltern großgeworden, aber im Hause
der Hellmarks war nie unmäßig gelebt worden. Man hatte
sich dort ein Herz für die Armen und Hilflosen bewahrt. Nach
außen hin führte Hellmark ein unabhängiges und freies
Leben. Das mußte so sein. Dieser Hintergrund, diese finanzielle
Freiheit erst ermöglichte es ihm überall hinzukommen,
überall eingreifen zu können. Molochos hatte den
Schwerpunkt seines Angriffs auf das Wohl der Menschen nicht auf einen
bestimmten Ort gelegt. Überall in der Welt ließ er etwas
eintreten und verursachten unerklärliche Geschehnisse Angst,
Schrecken und Tod. Aber Hellmarks Aktivitäten störten den
Lauf der Dinge.
Al Nafuur berichtete eingehend von den Ereignissen, die sich vor
drei Tagen im Haus und im Park des Juweliers Gerauer aus Wien
zugetragen hatten.
Zum ersten Mal hörte Björn den Namen Rudi Czernin,
erfuhr dessen Anschrift in Velden am Wörther See und die Art und
Weise seines geheimnisvollen Verschwindens.
»Vielleicht solltest du dich mal mit ihm in Verbindung
setzen, Björn«, bemerkte der Mann aus Xantilon ernst.
»Er verfügt über ein Wissen, das dir nützlich
sein kann.«
So direkt hatte Al Nafuur selten einen Vorschlag unterbreitet.
Björn wurde nachdenklich. Eine Sache stand in klarem
Widerspruch zu dem, was geschehen war und dem, was Al Nafuur
sagte.
»Czernin ist verschwunden! Niemand weiß, wo er ist. Und
du behauptest…«
Der Unsichtbare fiel in seine Gedankengänge. »Er ist
zurückgekommen. Das weiß noch niemand. Er hält sich
in seinem Haus am Wörther See auf. Geh’ zu ihm, bevor es
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