Macabros 027: Totenbarke nach Xantilon
hallte
der Gong durch die Finsternis.
Sekunden verstrichen.
Dann veränderte sich das Drachenbild. Es wurde
durchscheinend. Ein grünliches Licht lag fluoreszierend
über dem Symbol, dann verschwand es. Genau die Umrisse der
Zeichnung bildeten nun den Eingang. Die schwarze Tür war
durchlässig geworden. Sie sahen alle, wie Kima einen Schritt
vorging und von diffusem Licht umhüllt wurde. Er wurde
förmlich von ihm aufgenommen, als würde er sich in Nichts
auflösen.
Björn Hellmark und Arson sahen sich an. Der junge Deutsche
fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Das gefällt mir nicht«, murmelte Björn leise.
»Diese Geheimnistuerei ist mir zuwider.«
*
»Er hat recht«, murmelte Fred Reedstone im gleichen
Augenblick, schlug die Augen auf und blickte den Arzt groß an.
»Sein Gefühl ist vollkommen richtig. Man muß ihn
warnen, Doktor. Aber das geht nicht. Das alles, was ich ihnen bis
jetzt erzählt habe, geschieht in diesem Augenblick, wird
wirklich erlebt…«
Dr. Samuel Warlock ließ den Blick nicht von seinem
Gegenüber. »Ich habe Sie operiert, Fred. Ich bin sehr
interessiert an Ihrem Fall, denn Sie stellen ein Phänomen dar.
Sie sind auf eine Weise gesundet, die an ein Wunder grenzt. Das
wissen Sie. Als Sie sich den Schädelbasisbruch zuzogen, glaubte
kein Mensch mehr daran, daß Sie jemals noch auf die Beine
kommen. Sie haben es geschafft…«
»Ich fühle mich wie früher. Gesund und stark. Und
doch bin ich nicht wie früher. Ich empfange Bilder und Worte. Es
sind Botschaften. Ich weiß nichts damit anzufangen. Deshalb
komme ich zu ihnen.«
»Ich weiß auch nichts damit anzufangen. Fred.«
»Doktor! Als ich Ihnen die Dinge darlegte, war Ihre erste
Frage: nehmen Sie Rauschgift? Ich habe nie welches genommen, nehme
keines und werde auch nie welches zu mir nehmen.« Reedstone fuhr
sich durch die kastanienbraunen Haare. Ein tiefer Atemzug hob und
senkte seine breite Brust. Er erhob sich, trat ans Fenster und
blickte hinab auf die Straße. Leichtes Schneetreiben herrschte.
Die Autoscheinwerfer wirkten groß und bleich in der trüben
Luft. Der Himmel über New York war grau. »Das ist meine,
unsere Zeit, Doktor«, murmelte Reedstone nachdenklich und fuhr
sich mit nervöser Geste über sein Gesicht. Er wirkte
blasser als sonst. Seine dunklen Augen glühten wie Kohlen. Der
energische Mund bildete einen verkniffenen Strich, die Wangenmuskeln
des jungen Mannes zuckten.
Warlock betrachtete seinen Patienten unablässig. Reedstone
hatte seinen breiten Rücken etwas nach vorn gebeugt, als
beobachte er intensiv unten die Straße. Aber er nahm die Bilder
von dort nur beiläufig wahr.
Er fuhr fort: »Aber davor gab es eine Zeit, und davor noch
eine. In der Tiefe der Vergangenheit liegen Geheimnisse verborgen.
Die Urzelle, die uns das Leben verlieh, steckt voller Erinnerungen.
Aber sie teilt dem Organismus jeweils nur soviel mit, wie der
unbedingt braucht um funktionieren zu können. Erinnerungen aus
einem anderen Leben – vielleicht ist es das, was ich jetzt habe,
Doktor?«
Reedstone drehte sich wieder um. Warlock saß nachdenklich
hinter seinem Schreibtisch. Die Dunkelheit nahm zu. Aber der
Gehirnchirurg schaltete kein Licht ein.
»Möglich, Fred. Es ist alles möglich. Wir
müssen das noch genau untersuchen. Ihr Fall interessiert mich,
hat mich von Anfang an interessiert. Aber da waren andere Gründe
maßgebend. Daß sich die Sache so entwickeln würde,
daran habe ich nicht im Traum gedacht.« Warlock erhob sich. Sein
breites Gesicht glänzte, als wäre es mit Öl
eingerieben. »Sie fühlen sich auch jetzt so wie
immer?«
»Ja.«
»Keine Beklemmung, Depressionen, Ängste?«
»Nein.«
»Die Gestalten, die Sie sehen – identifizieren Sie sich
mit irgendeiner von ihnen.«
»Nein.«
»Was fühlen Sie, wenn Sie an den Gesprächen
teilnehmen, an den Ängsten und Sorgen dieser Menschen, die ein
merkwürdiges und unglaubwürdiges Schicksal
zusammengeführt hat?«
»Ich denke mit jedem einzelnen mit, weiß, warum er so
handelt und habe Verständnis dafür.« Er wurde
zunehmend nervöser. Die scharfen Linien um seinen
männlichen Mund waren noch tiefer in sein Antlitz gegraben.
»Es ist kein Wahn, es sind keine Halluzinationen…«
»Woher wissen Sie das, Fred?« warf der Arzt schnell ein,
Fred Reedstone unterbrechend.
»Ich kann es nicht begründen, Doktor. Ich kann es Ihnen
nicht verstandesmäßig erklären. Es ist ein
Gefühl – ich weiß es, daß – während
wir hier miteinander
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