Macabros 030: Tempel der Versteinerten
nach Pepe und einem
eventuellen Entführer aus und lauschte auf die Geräusche
des Urwalds.
Zischen, Rascheln, helle Pfiffe, die von kleinen Tieren
herzurühren schienen – rundum herrschte ein verborgenes,
unsichtbares Leben.
Hellmark befand sich jetzt ganz oben auf der Kuppe des Felsens,
der dreihundert Meter schroff abfiel und von wildem, tosendem Wasser
umspült wurde.
Das Blätterdach über ihm war dicht, wie
zugeschweißt. Der dunkle Himmel war nicht zu sehen.
Die Bäume, die ihn umgaben, schienen uralt. Sie waren massig
und knorrig, und manche hatten einen Umfang, daß bequem ein
Auto durch sie hindurchfahren könnte, hätte man sie
ausgehöhlt und als Tunnel benutzt.
Auto? echote es in seinem Hirn. Wie kam er auf ein Auto? Was
– war ein Auto? Er hatte hier auf der Insel der seltsamen
Göttin noch keines gesehen. Für einen Augenblick nur
mischten sich Erinnerungen mit Erfahrungen und Erkenntnissen, die er
in der neuen Welt gewonnen hatte.
Dann tauchten sie wieder unter in das Vergessen.
Pepe? Wo war Pepe?
Er stutzte. Da, nur zwei Schritte von ihm entfernt, lag etwas
Dunkles, Längliches auf dem Boden.
Ein Mensch?
Er lag genau am Fuß eines mächtigen Baumes, der
kopfgroße, gezackte Blätter hatte und von dem ein
würziger Duft ausströmte.
Björn sprang von Yümaho und war sofort neben der
Gestalt.
Es war ein Mann mit breitem Gesicht, dunklen, dicken Augenbrauen
und etwas aufgeworfenen Lippen. Ein energisches Kinn und hochstehende
Backenknochen verliehen dem Antlitz etwas Exotisches.
Der Mann atmete tief und fest. Björn rüttelte an den
Schultern des Schläfers und rief laut und klar: »Hallo,
werden Sie wach!«
Der Mann rührte sich nicht.
Da erinnerte Hellmark sich an Hasard Kolons Worte.
Dieser Mann war nicht mehr zu wecken. Sein tiefer Schlaf war
gleichbedeutend mit dem Tod! Auch er war einer der Mutigen, die den
Tempel Aii-Ko’on-Taks betreten und den Kampf mit ihr verloren
hatten. Dieser Fremde war, wenn er sich recht erinnerte, vom dritten
Arm der Göttin getroffen worden.
Benommen richtete Björn sich auf.
Zu Fuß lief er weiter in den Dschungel. Das Dickicht wich
zurück. Hinter mannshohen Farnen und Gestrüpp zeigten sich
vereinzelt kleine Lichtungen, blubbernde, brackige Seen und saubere
Teiche.
Mücken und anderes Ungeziefer summte dort in
Schwärmen.
Yümaho trottete hinter seinem Herrn her.
Nach einer Weile blieb Hellmark abermals stehen.
Ein abgebrochener Zweig! Ganz deutlich war die frische Bruchstelle
auszumachen. Fußspuren im weichen Untergrund!
Hier war jemand vor nicht allzulanger Zeit gelaufen.
Björn brach durch die Büsche, zischelte Yümaho zu,
stehenzubleiben, und das Pferd gehorchte.
Und noch während er sich durch die Büsche schlug,
vernahm er die Geräusche.
Laute von einem Saiteninstrument erklangen. Disharmonische Laute.
Dazu sang jemand mit grollender Stimme einen Text, der überhaupt
keinen Sinn ergab.
»Der Wind wird nicht kommen… aber ich sehe dich…
ich habe dich gefunden… und du tanzt für mich… tanzen
solltest du, hörst du? Tanzen!«
Das Gezupfe konnte man schwerlich als Melodie bezeichnen.
Eine Peitsche knallte.
»Wie?« fragte eine dröhnende Stimme. »Du
willst nicht tanzen?« ertönte es im Sprechgesang.
»Nun… Ich will es dir wohl zeigen.«
Wieder das Krachen der Peitsche. Jemand schrie auf.
Pepe!
Noch zwei, drei Schritte weiter vor. Hellmark achtete nicht
darauf, wohin er trat und daß die Zweige ihm die Haut ritzten
und ins Gesicht schlugen. Der Junge war offenbar in Gefahr, er war
einem…
… Irren in die Hände gefallen!
Die Szene, die sich den Augen des Deutschen bot, erinnerte ihn an
einen Traum und schien mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun
haben.
Pepe war an einen kahlen Baumstamm gefesselt. An einer langen
Leine hatte er gerade soviel Bewegungsfreiheit, daß er sich im
Umkreis von drei Metern vom Stamm lösen konnte.
Dicht vor ihm stand ein bärtiger Mann mit zerzaustem Haar und
wild leuchtenden Augen. In der Rechten hielt der Fremde, der nur mit
einem schmutzigen, sackartigen Gewand bekleidet war, eine Peitsche.
An einem langen Stock befand sich ein fingerdickes Seil, das offenbar
aus strapazierfähigen Pflanzenfasern gedreht war.
Mit dieser Peitsche schlug der Wahnsinnige immer wieder nach Pepes
Beinen, so daß der Junge gezwungen war, sie plötzlich
hochzureißen, um den Schlägen auszuweichen.
»Tanzen sollst du, Bürschchen – ja, so ist es
fein… Schwing das linke – dann das rechte –
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