Macabros 033: Flucht in den Geistersumpf
führte – also muß es logischerweise auch eine
geben, die hinausführt. Ich hoffe es jedenfalls«,
fügte sie leise hinzu, »so ganz sicher bin ich mir da
nicht. Logik scheint es hier in dieser Welt nicht zu geben.«
Sie starrten auf die blubbernde, dampfende Oberfläche. Die
dunklen Gesichter mit den breiten Nasen und den großen,
gierigen Mäulern tauchten unter und verschwanden wieder, als
hätte es sie nie gegeben.
»Gespenstisch«, stieß Lorette hervor.
Dieser Geistersumpf strahlte eine Gefahr aus, wie sie sie nie
intensiver gefühlt hatte.
Lorette wollte wissen, wie lange Carminia schon hier weilte. Sie
konnte keine genaue Auskunft darauf geben. Es kam ihr so vor, als
wäre ein Tag vergangen. Sie fühlte sich müde und
zerschlagen, aber bis zu diesem Augenblick hatte sie noch nicht den
Mut gefunden, sich hier irgendwo niederzulassen und zu schlafen.
Die beiden Frauen erzählten sich ihr gegenseitiges
Mißgeschick.
Keine von ihnen wußte, wo sie sich befanden. Lorette machte
den Vorschlag, den Weg zurückzugehen zu dem Wald, den sie zu
allererst wahrgenommen hatte, als sie erwachte. Das taten sie, aber
seltsamerweise fanden sie die Bäume nicht mehr. So weit das Auge
reichte, dehnte sich der Geistersumpf vor ihnen aus. Der Wald hatte
sich aufgelöst wie eine Erscheinung und schien nie existiert zu
haben.
Schließlich stellten sie erschöpft fest, daß sie
sich im Kreis bewegt hatten, daß sie die gleiche Stelle wieder
erreichten, an der sie vor kurzem zusammengetroffen waren.
Es schien nichts mehr anderes zu geben als diesen Sumpf, in dem
ein unfaßbares Leben existierte. Immer wieder stiegen
Köpfe auf, lauerten dunkle Augenhöhlen und verfolgten
dunkel glimmende Augen ihren Weg.
Carminia Brado erfuhr durch Lorette Massieu von der Begegnung der
Halbfranzösin mit Björn Hellmark. Björn hatte die Spur
aufgenommen, und neue Hoffnung erfüllte sie.
»Wir haben eine Chance«, murmelte sie. »Wenn er
weiß, wo wir uns befinden, wird er uns zu Hilfe eilen. Wir
dürfen nicht aufgeben…«
»Und wir dürfen denen vor allen Dingen nicht in die
Hände fallen!«
Carminia fiel auf, daß in dem Augenblick, da Lorette Massieu
dies sagte, es sich im Geistersumpf wieder zu regen begann.
Mehr Köpfe und mehr Arme ragten aus dem Moor heraus.
Eine seltsame Assoziation drängte Carminia sich auf. Ihr fiel
auf, daß immer dann, wenn Lorette Massieu von den unheimlichen
Moorgeschöpfen sprach, sie sichtbar wurden und in
größerer Anzahl auftauchten, als fühlten sie sich
angesprochen.
Ein Verdacht stieg in ihr auf.
Aber sie war zu müde, ihn auszusprechen. Ihr fielen die Augen
zu, und die beiden jungen Frauen schliefen auf der Stelle ein.
*
Wien.
Carel Unstett parkte seinen Wagen auf der gegenüberliegenden
Straßenseite. Von hier aus konnte er das angegebene
Antiquitätengeschäft an der Ecke genau
überblicken.
Eine alte Holztür mit dunkelbraunen, eingesetzten Scheiben
war wurmstichig und wies zahlreiche Kerben, Spalten und Risse
auf.
Links und rechts neben der Tür befanden sich je ein
Schaufenster, das oberhalb eines frisch gereinigten Sandsteinsockels
begann. In Hüfthöhe etwa waren die Fenster. In der Auslage
sah man alte Bilder und Glasschränke, englische Stand- und
Kaminuhren, alte Grammophone und Phonographen und stapelweise
Bücher, Schallplatten und Trödlerkram. Die Schaufenster
waren derart überfüllt, daß es unmöglich schien,
einen Blick in das finstere Geschäftslokal zu werfen, in dem
eine alte Lampe brannte.
Über dem Eingang hing ein riesiges, schmiedeeisernes Schild.
Es war mit Gold und Silber bemalt und zeigte eine Kutsche, vor die
sechs Pferde gespannt waren. Ursprünglich schien dieses Schild
zu einem Hotel oder einem alten Lokal gehört zu haben. An Ketten
darunter war mal der Name der Lokalität zu lesen, nun war eine
Kette mit großen Gliedern daran befestigt, die ein Schild
hielten, auf dem in verschnörkelten Buchstaben: »Ottos
Raritätenkabinett« stand.
Hin und wieder registrierte der aufmerksame Beobachter einen
Besucher. Wenn kein Kunde im Geschäft war, nahm er einen dunklen
Schatten wahr, der sich hinter den braunen, dicken Glasscheiben
zeigte.
Jemand hantierte dort herum, staubte ab und räumte auf.
Unstett kam es so vor, als ob eine Frau in dem Antiquitätenladen
war.
Der Okkultforscher rauchte seine Zigarette zu Ende und
verließ dann sein Fahrzeug. Er überquerte die Straße
und sah sich interessiert die Auslagen an.
Schließlich trat er ein. Er
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