Macabros 033: Flucht in den Geistersumpf
Gesicht,
während er mit der anderen Hand den Barschrank öffnete und
von ganz hinten eine dunkle Flasche hervornahm, die zu einem Drittel
gefüllt war.
»Oh nein, Tony! Nein… nicht schon wieder!« entrann
es den Lippen der Frau. Sie schluckte heftig, ihre Augen bewegten
sich unstet, und kalter Schweiß perlte auf ihrer weißen
Stirn. »Tu’s nicht schon wieder… ich werde es nicht
überleben… die Angst… sie macht mich
wahnsinnig!«
Ihre Stimme war schwach und zitterte. Lorette Massieu starrte auf
das Glas, das Stukman in seiner Hand hielt, und in das er einen
kräftigen Schuß einer dunkelgrünen, schweren
Flüssigkeit schüttete. Das Ganze roch scharf wie
Kräuterlikör.
Er ging auf sie zu. »Trink!« forderte er Lorette
auf.
Die Halbfranzösin warf den Kopf heftig hin und her und wich
langsam durch den großen Wohnraum an die Wand zurück.
»Tony…«, murmelte die bleiche Frau »Tony…
ich verspreche dir…«
»Trink!«
Ihre Lippen zuckten. Sie starrte in die kalt glitzernden Augen
ihres Gegegenübers und wußte daß sie kein Erbarmen
erwarten konnte. Stukman war besessen, er kannte keine Gnade.
»Ich will nicht!« brüllte sie. Sie wußte
nicht, woher sie die Kraft nahm, ihren Körper noch
herumzureißen und in die entgegengesetzte Richtung
davonzulaufen. Plötzlich war ihr alles egal. Sie mußte
raus aus dieser Wohnung, die wie eine schreckliche Falle war. Lorette
hatte das Gefühl, die Wände auf sich zurücken zu
sehen.
Ihre Beine waren schwer wie Blei, ihr Herz klopfte bis zum
Hals.
Lorette Massieu warf sich förmlich der Tür entgegen und
griff nach der Klinke.
Verschlossen!
Den Schlüssel umdrehen, hämmerten ihre Gedanken.
Hellmark! Alle ihre Anstrengungen, ihre Hoffnungen würden
vergebens sein. Der Fremde, in dem sie ihren angekündigten
Retter erkannt hatte, würde ihr nun auch nicht mehr helfen
können.
Stukman hatte die ganze Zeit über gewußt, was los war.
Und nun rächte er sich und ließ seine satanische Macht
spüren.
Hände packten sie. »Hiergeblieben, kleine Wanze!«
Der Engländer lachte rauh. Er hielt Lorette mit harter Hand
fest, und sie konnte sich nicht losreißen. Mit einer Hand hielt
er ihre Armgelenke auf den Rücken und drückte ihren
Oberkörper mit roher Gewalt herum.
Diesen Mann hatte sie geliebt, mit diesem Mann hatte sie jede
Sekunde ihres Lebens Zusammensein wollen – und das hatte sie ihm
auch gesagt!
›Ich will dich ganz besitzen!‹ Stukmans Worte klangen
noch jetzt in ihren Ohren. Seine heißen
Liebesschwüre…
Er besaß sie ganz, mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele.
Sein Wunsch war in Erfüllung gegangen.
Lorette wehrte sich, schob den Kopf herum, mied die Nähe des
Glases, das ihr gegen den Mund gepreßt wurde, und spie
hinein.
»Na warte, kleines Biest! Das werden wir gleich haben.«
Stukman war stärker. Er warf die Frau zu Boden. Ehe sie sich
versah, hockte er auf ihr, drückte mit seinen Knien ihre Arme
herab und hielt mit der einen Hand ihren Kopf fest, während die
andere Hand das Glas umspannte, das er nun an ihre Lippen setzte. Er
kippte es einfach an, und Lorette blieb nichts anderes übrig,
als zu schlucken. Stukman lachte häßlich. Ein einziger
Schluck genügte, um das in Gang zu setzen, wovor sie einen
solchen Horror hatte. Immer nach diesem Getränk trat etwas ein,
von dem sie nachher nicht mehr sagen konnte, wie sie eigentlich an
einen bestimmten Ort gekommen war. Dinge wie im Traum ereigneten sich
dann, und sie fühlte sich matt und erschlagen und sterbenskrank,
wenn sie erwachte. Und sie wurde stets mit dem Gefühl wach,
daß es doch kein Traum, sondern eine schreckliche,
unbegreifliche andere Wirklichkeit war, aus der sie kam.
Heiß wie Feuer brannte das Getränk in ihrer Kehle. Und
es war, als würde diese Glut wie ein verzehrendes Fieber ihren
ganzen Körper erfassen.
Der Wille, Stukman zu entkommen, sich von ihm loszureißen,
wurde erstickt. Eine schwebende, angenehme Leichtigkeit erfüllte
sie.
»Komm, erheb’ dich!« Wie angenehm und beruhigend
seine Stimme klang.
Er faßte Lorette bei beiden Händen und zog sie empor.
Sie glaubte auf Wolken zu schweben. Vergessen war alles, was sie eben
noch bedrückte.
Stukman ging mit ihr ins Schlafzimmer. Aber das registrierte sie
nicht. Sie erkannte ihre Umgebung nicht mehr. Der seltsame Traum,
ausgelöst durch die Droge, begann bereits.
Sie glaubte auf einem schmalen Pfad zu gehen, der von hohen, dicht
belaubten Gewächsen flankiert wurde.
An Ende des Weges schimmerte
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