Macabros 033: Flucht in den Geistersumpf
seine
Hand über den Rahmen. »Es gibt Spiegel«, sagte der
Schwarze Priester leise, »mit denen es eine besondere Bewandtnis
hat. Man kann mit ihnen diese Welt verlassen, und man kann die Welt
hinter dem Spiegel kennenlernen.«
»Unmöglich!«
»Ich war der Meinung, dieses Wort gäbe es in Ihrem
Sprachschatz nicht. Sie glauben an eine Weiterexistenz nach dem Tod,
Sie sind überzeugt davon, daß Geister und Dämonen in
dieser Welt umgehen, daß es einen Ort gibt, wo sie sich
aufhalten und daß es ein Reich gibt, in dem sich auch Geister
und Tote treffen. Richtig! Aber Sie glauben nicht daran, daß es
möglich ist, diese Welt aufzusuchen.«
»Nicht mit einem Spiegel.«
»Womit denn sonst? Mit einem Auto? Mit einer Rakete? Wo
wollen Sie diesen Ort suchen?«
»Jenseits dieser, unserer Dimension.«
»Richtig. Dazu ist es notwendig, die Grenzen zu passieren,
die zwischen den Dimensionen bestehen. Was eignet sich dazu besser
als ein Spiegel, der diese Möglichkeit schafft? Es gibt viele
von diesen Spiegeln, die aus einer anderen Zeit, aus einer anderen
Welt stammen. Franz Otto war ein Mensch, der Ihnen ähnelte.
Immer auf der Suche nach etwas Außergewöhnlichem. Eines
Tages, als ein Gut versteigert wurde, fand er auf dem Speicher diesen
Spiegel und nahm ihn mit. Otto verstand einiges von Schwarzer Magie
und okkultem Brauchtum und begriff sofort, daß er einen jener
legendären Spiegel entdeckt hatte, die als Tor in eine andere
Dimension dienten. Otto mißbrauchte sein Wissen, das wurde ihm
zum Verhängnis. Ich möchte Sie vor einem ähnlichen
Schicksal bewahren. Sie beginnen Dinge zu ergründen, die Sie in
tödliche Gefahr bringen können, wenn Sie es falsch
anfangen. Nehmen Sie an, ich weiß mehr über das Jenseits
und die Toten, als ein anderer Mensch je ergründen konnte.
Nehmen Sie an, ich hätte eine Botschaft für Sie, und ich
würde sogar Gewalt anwenden, nur, damit Sie diese Botschaft
kennenlernen. Ich habe einen Auftrag – aus dem Jenseits. Einen
Auftrag von Ihrer Mutter!«
Bedrückende Stimme herrschte nach diesen Worten.
Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
Dann fuhr der Sprecher fort. »Ich führe Sie zu ihr. Sie
können mit ihr reden. Einer Ihrer alten Wunschträume wird
damit wahr.«
Unstett konnte sich der Faszination der Worte und des Augenblicks
nicht entziehen.
Unwillkürlich streckte der Salzburger die Hand nach dem
Spiegelrahmen aus und stellte fest, daß der große Spiegel
unverrückbar an der Wand befestigt war. Er schloß mit
seiner Rückseite nicht ganz bündig mit der Mauer dahinter
ab. Das aufgequollene Holz schuf Zwischenräume, die groß
genug waren, daß man einen Finger hineinstecken konnte.
Dahinter fühlte er die kalte, feste Wand.
»Sie lügen«, wisperte er. »Ich weiß
nicht, warum Sie dieses Spiel mit mir treiben. Hinter dem Spiegel ist
die Wand, was sollte dahinter ein?«
»Ein Teil der Ewigkeit. Sehen Sie hier…«, da
streckte der Priester seine Hand aus – und bis zum Gelenk
verschwand sie im Spiegel, als bestünde die matte Fläche
nicht aus Glas, sondern aus einer senkrecht stehenden, stillen
Wasserwand. »Kommen Sie, Unstett! Kommen Sie mit! Auf ein kurzes
Gespräch mit Ihrer Mutter.«
Der Mann verschwand vor seinen Augen durch den Spiegel. Carel
Unstett zögerte noch einige Sekunden.
Dann überwand seine Neugierde Zweifel und Furcht – er
streckte beide Arme in den Spiegel und ließ seinen
Oberkörper folgen. Es war ein seltsames Gefühl. Er glaubte,
eine Nebelwand zu durchschreiten. Hinter dem Spiegel war kein Kasten
oder Hohlraum, in dem er ankam, sondern eine andere, eine dumpfe,
finstere und schaurige Welt.
Er wollte noch umkehren, aber er konnte nicht mehr. Von harter
Hand wurde er so heftig herumgerissen, daß er mehrere Meter
weit nach vorn taumelte, den Halt verlor und auf den glitschigen
Boden stürzte.
Höhnisch lächelnd stand der Schwarze Priester vor ihm
und sagte: »Ich sprach davon, daß ich eine Botschaft
für Sie hätte, Unstett. Das stimmt. Allerdings ist diese
Botschaft anders, als Sie erwartet haben.«
Die Worte hallten durch die Atmosphäre, die mit etwas
Unfaßbarem, Schauerlichem angefüllt war, das sich seiner
Beschreibung entzog.
Unstett erhob sich. Ein leichtes Schwindelgefühl ergriff
ihn.
Er setzte zum Sprechen an, aber sein Widersacher ließ ihn
erst gar nicht zu Wort kommen. »Wir beobachten Sie schon geraume
Zeit, Unstett. Vielleicht schon zu lange. Die Thesen, die Sie
verbreiten, bringen für uns eine gewisse
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