Macabros 036: Gruft der bösen Träume
starrten in die Ferne, wo das sich
kräuselnde, dunkle Meer mit dem schwarzen Himmel eins wurde.
»Komm«, schien es zu singen. »Komm zu uns… wir
warten auf dich… du wirst Dinge zu sehen bekommen, die nie eines
Menschen Auge schaute… du bist auserwählt, bei uns zu
sein… und du wirst reich beschenkt zurückkehren… komm
zu uns!«
Es sang und klang in ihr, und sie hatte das Gefühl, in ihrem
Körper würden Saiten angeschlagen, die nie zuvor zum
Schwingen gebracht wurden.
Sie fühlte sich seltsam leicht und beschwingt, und die
geheimnisvollen Töne und Stimmen, die sie zu hören glaubte,
erfüllten sie wie ein süßes Gift.
Ihr Blick wanderte hinunter zur Bucht. Und da war es, als
öffne ein übermächtiger Geist die Wolkendecke, so
daß ein silbriger Mondstrahl über die kahlen, spitzen
Felsen fiel und sich auf der Wasseroberfläche spiegelte. Wie
flüssiges Silber lag das Licht auf dem Wasser. Ein seltsamer
Zauber ging von ihm aus.
Cathy sah auch die Boote.
Es waren zwei.
Aber eigentlich brauchte sie nur eines, ging er ihr durch den
Sinn.
Tief in ihrem Innern machte eine warnende Stimme sich
bemerkbar.
Die Geschichte des alten Wirts… seine rätselhaften
Andeutungen von den Geistern, die riefen, und deren Ruf man nicht
widerstehen konnten…
Aber nur den Bruchteil einer Sekunde lang waren die
Befürchtungen, die sie hegte. Das andere, das drängte und
forderte, das ihren eigenen Willen zurückwies, war
stärker.
»Ich komme«, flüsterte sie. Ihr Gesicht war seltsam
verklärt. Sie wandte sich um. Sie hatte den Lockruf des
»Dunklen Gottes« vernommen und eilte aus dem Zimmer, um so
schnell wie möglich bei ihm zu sein.
*
Er kletterte die Leiter hinunter. Er hörte Rufe und Schritte
und folgte den Geräuschen.
Es ging durch einen langen, finsteren Gang.
»Sie darf nicht zu ihm gehen, Lumnick!« Das war Cynthia
O’Donells Stimme. Sie überschlug sich. Nackte Angst schwang
in ihren Worten mit. »Sie wird bald ganz ihm gehören…
bald ganz, o mein Gott!«
Schatten… Lichtreflexe, die geisterhaftes Leben
vorgaukelten.
Eine riesige Halle. Nacktes Felsgestein. Kalte Luft. Von irgendwo
wehte ein scharfer Wind durch Ritzen und Spalten, die er nicht
sah.
»Nun hat sie doch alles gesehen! Was wird werden,
Lumnick?« Cynthia O’Donells Stimme klang verzweifelt.
Stan Falkner lief mit wehendem Morgenmantel an vorspringenden
Felssteinen und Mauernischen vorüber. Der Korridor war nichts
weiter als ein Stollen, der in den Fels getrieben war und direkt zum
Meer zu führen schien. Die salzige und nach Fisch riechende Luft
legte Zeugnis davon ab.
Falkner stolperte. Der Boden war nicht glatt. Große Steine
lagen herum. Er konnte sich abfangen, lief weiter und sprang
über die Felsbrocken hinweg.
Er näherte sich den beiden Gestalten, die nur noch wenige
Schritte von ihm entfernt waren und die ihn noch nicht bemerkt
hatten.
Das trübe Licht, das Cynthia O’Donell mit sich trug,
beleuchtete nur einen winzigen Ausschnitt des Stollens, durch den sie
liefen. Weiter vorn erkannte Stan die Umrisse einer fliehenden,
knochendürren Gestalt. Die mumifizierte Leiche, die mit
geisterhaftem Leben erfüllt war und deren Auftauchen Cathy in
allen Details geschildert hatte.
Es stimmte also doch!
Stan Falkner fühlte den dumpfen Druck im Schädel und
biß die Zähne aufeinander. Er versuchte, die Dinge, die
sich hier abgespielt hatten und noch immer abspielten, zu
analysieren. Das Denken fiel ihm schwer.
Dieser verdammte Whisky! Er hatte doch zuviel davon getrunken.
Ganz vorn sah er das Licht in den Felsen. Darauf flog die Mumie
zu. Sie hatte die Arme ausgestreckt, und ein jubelnder Aufschrei
drang aus der Kehle des gespenstischen Geschöpfs.
»Aiieehh!« So klang es, hallte durch den Stollen und
kehrte als mehrfaches Echo zurück.
Der Mann neben Mrs. O’Donell keuchte. Er konnte nicht mehr so
schnell laufen, um die mumifizierte Leiche noch einzuholen. Da war
Stan Falkner neben ihm.
Erschrocken warf Lumnick seinen Kopf herum. Der Mann aus Dublin
gab einen wilden Schrei von sich und riß die Arme hoch. Stan
sah es im gleichen Augenblick metallisch in Lumnicks Rechter
aufblitzen.
Ein Messer, zuckte es durch Falkners umnebeltes Hirn.
Er reagierte noch, ehe er überlegte.
Seine Linke kam hoch wie von einem unsichtbaren Faden
emporgezogen.
Er traf Lumnicks Unterarm, stieß gleichzeitig seine Rechte
vor und traf den Mann aus Dublin so hart gegen die Brust, daß
er das Gleichgewicht verlor.
Lumnick
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