Macabros 036: Gruft der bösen Träume
Trugbild
vorgegaukelt? Was für eine Bedeutung hatte das Wesen, das den
Sprung in die Tiefe gewagt und von der Flut aufgenommen worden
war?
Björn hatte es genau gesehen: die ausgedörrte Mumie
hatte nicht geatmet.
Was ging hier vor?
Waren Cynthia O’Donell und Stan Falkner in den Bann
böser Mächte geraten? Wußten sie selbst nichts mit
den Dingen hier anzufangen, die sich ereigneten?
Was für eine Rolle spielte Rodney Lumnick?
Hellmark war neben dem Toten in die Hocke gegangen und
interessierte sich besonders für den Gegenstand, von dem Falkner
behauptete, daß Lumnick ihn damit hatte angreifen wollen.
Es war ein stumpfer Gegenstand, blank geschliffenes Holz, das mit
zahlreichen geheimnisvollen Zeichen bedeckt war. Ein säuerlicher
Geruch stieg von dem Holz auf, das offenbar in einer Beize gelegen
hatte und sich klebrig anfühlte.
»Was ist das?« fragte Björn leise.
»Damit wollte er Eliza retten«, sagte Cynthia
O’Donell dumpf.
Zwischen Björns Augen entstand eine steile Falte. »Wer
ist Eliza?«
»Meine Tochter. Wir sind ihr gefolgt. Sie hat heute abend
früher als gewöhnlich ihre Kammer verlassen. Sie ist ein
bedauernswertes Geschöpf…« Cynthia O’Donell fuhr
sich durch ihr zerzaustes Haar. Sie machte einen niedergeschlagenen
und abwesenden Eindruck. »Das schrecklich anzusehende Wesen, das
Sie vorhin durch den Stollen eilen sahen, das Wesen, das aussah wie
eine vertrocknete Leiche – ist meine Tochter Eliza, und sie ist
zwanzig Jahre alt…!«
*
Sie blickte abwesend in eine unwirkliche Ferne.
»Vor vierzig Jahren begann das Unheil…«, fuhr sie
fort und schien überhaupt nicht zu merken, daß sie sprach,
schien die Männer, die um sie herumstanden, gar nicht mehr
wahrzunehmen. »Wir leben seit fünfzig Jahren hier, und nie
ist etwas passiert. Weil wir die Gesetze beachteten und uns danach
richteten. Dem Vater meines Mannes – dessen Vater wiederum war
nie etwas passiert. Die O’Donells waren mit dem Grauen
groß geworden, und sie ließen es links liegen. Eliza
aber, unsere einzige Tochter, übertrat eines Tages die
Hausgesetze der O’Donells. Was sich dort draußen in
bestimmten Nächten abspielte, das interessierte sie doch stark.
Und so ließ sie trotz strengsten Verbotes eines Abends das
Fenster ihrer Kammer offen stehen. Es war die Nacht, die die
O’Donells stets mieden, wo sie ihr Haus wie eine Festung
absicherten, wo sie Fenster und Türen verbarrikadierten und sich
ganz still verhielten.
Auf diese Weise erhielten sie sich stets ihre Freiheit. Durch
Elizas Verbotsübertritt änderte sich das in dieser
Generation. Sie vernahm den Lockruf des Dunklen Gottes und folgte
ihm. Sie stieg in ein Boot und fuhr zur Gruft, wo der Herr der
Tiefsee auf sie wartete. Andrew folgte ihr nach, als er merkte, was
geschehen war. Er setzte sein eigenes Leben aufs Spiel, aber das war
ihm egal. Eliza war sein Augapfel, sie liebte er mehr als sein Leben.
Es gelang ihm noch, Eliza in jener Nacht zurückzuholen. Aber sie
war nicht mehr so wie vorher. Sie hatte den Dunklen Gott gesehen. Und
wer ihn einmal erblickt, der ist verloren.
Das Leben wich von ihr, sie verlor von Tag zu Tag mehr Substanz,
als ob ihre Energie auf geheimnisvolle Weise abgezapft würde.
Nacht für Nacht kehrte dieses Leben wieder, aber Elizas Jugend
und Schönheit waren dahingegangen. In einer Kammer im Keller
schlossen wir sie ein und hofften, daß irgendwann doch noch mal
alles gut werde.
Auch mit Andrew ging eine seltsame Verwandlung vor sich. Seine
Haut wurde grün, stundenweise zeigten sich in der Nacht
Schwimmhäute zwischen Fingern und Fußzehen, als ob er sich
in ein Meerwesen verwandle. Die Nächte schrie er und wollte
hinaus. Und dann konnte nichts mehr ihn halten. Er benutzte den alten
Stollen durch den Felsen, in dem wir uns jetzt befinden und den seine
Vorfahren einst ausbauten, um ihn eventuell als Fluchtweg zu
benutzen. Denn hier, jenseits der Bucht, ist der Ruf des Dunklen
Gottes nicht zu hören.«
Ihre Stimme war leise geworden, und sie sah sich plötzlich
erschreckt um, als würde ihr erst jetzt bewußt, was sie
gesagt hatte, was sie eigentlich gar nicht hatte sagen wollen.
»Wer ist der Dunkle Gott?« wollte Björn wissen. Der
blonde Deutsche stand der kleinen Frau gegenüber und legte ihr
beruhigend die Rechte auf die Schulter. »Wir möchten Ihnen
gern helfen«, sagte er mitfühlend. »Aber es ist
notwendig, daß Sie uns noch mehr erzählen. Was ist das
für ein Fluch, der auf diesem Haus
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