Macabros 039: Im Verlies der Hexendrachen
Hirn
nicht unbedingt begreifen konnte.
»Wo kommst du her, Bjoorn? Ich habe nie… einen Menschen
deiner Art… hier gesehen.«
»Ich komme aus… einem fremden, fernen Land«, sagte
Macabros schnell, in der Hoffnung, daß Ogh sich damit
zufriedengab.
»Ein Land, das ich nicht kenne? Wie – heißt
es?«
Er wich aus. »Was ist hier passiert, Ogh? Die Männer,
die tot hier im Tal liegen, sind Angehörige deines Volkes. Wer
waren eure Feinde?«
»Die Tzschizz… Sie waren es nicht nur… sie sind es
noch immer. Solange unser Volk existiert, gibt es die Tzschizz…
immer wieder überfallen sie uns, immer wieder zwingen sie uns
zum Kampf. Endlich hatten wir gehofft, jenen Ort gefunden zu haben,
wo sie groß gezogen werden, wo sie ihre fürchterlichen
Waffen herstellen, die sie mit einer unglaublichen Gewandtheit zu
führen verstehen… aber wieder hat man uns getäuscht.
Wir sahen eine Stadt, wo es keine gab. Und ehe wir uns versahen,
waren wir umzingelt. Wir hatten… keine Chance. Alle Freunde sind
tot…, daß ich noch hier liege ist ein Irrtum… die
entkommen konnten, haben die Verwundeten mitgenommen. Wir nehmen sie
immer mit. Wenn sie zurückbleiben verspeisen die Tzschizz sie.
Sie sind – Kannibalen.«
*
Er mußte sich unterbrechen. Seine Stimme war zuletzt kaum
noch zu verstehen gewesen.
Macabros bettete ihn so gut es ging ein wenig höher, indem er
den feinkörnigen Sand hochschob und unter Schultern und Kopf des
Verletzten sammelte.
Er öffnete das Kettenhemd und riß das darunter
befindliche blaue Hemd auseinander, um die Wunde näher zu
begutachten, die er auf der Brust vermutete, wo Ogh immer wieder
seine Hand hinführte und sie dagegen preßte.
Genau auf der Höhe des Herzens fand er eine große,
blutunterlaufene Stelle, aber keine Wunde.
»Ich hatte noch… mal Glück«, fuhr Ogh fort.
»Das Amulett… es hat mir das Leben gerettet. Ich habe es
Silay zu verdanken… sie hat es mir mitgegeben, als ich in den
Kampf zog… der Pfeil ist abgeprallt. Die Wucht des Aufschlags
war jedoch so groß, daß ich ohnmächtig wurde. Als
der Kampf vorüber war und man in aller Eile die Verwundeten in
Sicherheit brachte, muß man mich für tot gehalten haben.
Als ich zu mir kam… lag das Schlachtfeld vor mir,
übersät mit Toten. Ich nahm sofort mein Rufhorn an die
Lippen, in der Hoffnung, daß die Gefährten mich noch
hören würden. Aber ich muß wohl sehr lange ohne
Bewußtsein gewesen sein, und so waren sie schon weit weg. Und
sie werden auch nicht mehr zurückkomme. Wie ich sehe, sind
sämtliche Reittiere nachgefolgt.«
»Ich werde dich zurückbringen, Ogh. Sag mir, in welche
Richtung wir gehen müssen…«
Ogh sah den blonden Mann aus großen Augen an.
»Zu Fuß durch das Reich der Tzschizz – das ist
Selbstmord, Bjoorn. Die Zeit der Kampftage sind angebrochen. Die
lange Nacht steht vor der Tür, die Nacht der Hexendrachen. Wer
sich dann noch in diesem Teil des Landes aufhält, der wird
vergehen wie Wachs unter der Sonne.«
»Die Nacht der Hexendrachen? Was ist das, Ogh?«
»Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Keiner von
uns hat die Nacht je hier verlebt. Wir ziehen uns zurück in
unsere Verstecke, um die Nacht zu überstehen, in denen die
Hexendrachen ihr Fest feiern. Neugierige, die es gewagt haben, einen
Blick auf den Tanzplatz zu werfen, hat man nie wieder gesehen. Der
Sturm kündigt die Nacht an. Sobald die Felsen nicht mehr klagen,
wird das Fest beginnen.«
»Dann werden wir gehen«, sagte Macabros.
»Der Weg ist weit. Ich bin noch sehr schwach. Ich schäme
mich deswegen. Meine Verwundung ist minimal, und doch bin ich schwach
wie ein Kind. Ich habe das Gefühl… als hätte mein Herz
lange Zeit ausgesetzt und würde erst jetzt wieder anfangen,
langsam die verlorene Kraft in den Körper
zurückzupumpen.«
Es war eine eigenartige Bemerkung, die Ogh da machte. Aber
Macabros sagte nichts darauf. Fremde Länder, fremde Sitten,
fremde Körper, fremde organische Abläufe.
»Es gibt unter Umständen einen anderen Weg, der dich
zurückbringt und deine Kraft schont, Ogh…«
Da sah er, wie es in den Augen des fremden Kriegers
aufblitzte.
»Achtung, Bjoorn!« schrie er. Im gleichen Augenblick
mobilisierte er alle Kräfte, die ihm noch zur Verfügung
standen. Wie von unsichtbaren Fäden emporgerissen, kamen seine
Beine in die Höhe. Er wollte Macabros einen Tritt versetzen, um
ihn zu Boden zu schleudern.
Doch Macabros wirbelte herum.
Im gleichen Augenblick machte er einen schnellen Schritt
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