Macabros 045: Das Geheimnis der grauen Riesen
er sie noch nicht auswendig kannte. Er hat den Zettel
durch einen unglücklichen Zwischenfall in der Wand nach
drüben verloren. Ich benötige die Aufzeichnungen. Besorgen
Sie sie mir!«
»Unmöglich!«
»Sie wollen nicht?«
»Wie käme ich dazu, Forschungsergebnisse meines Bruders
heimlich zu entfernen? Warum besorgen Sie sich diese Unterlagen nicht
selbst?«
»Wenn das für mich oder meinen Helfer so einfach
wäre wie manche anderen Dinge, dann wäre das längst
geschehen. Das Schubfach ist gesichert.«
»Dann kann ich es auch nicht öffnen. Ich kenne die
Kombination nicht.«
Ontar Muoll lächelte maliziös. »Es ist nur ein
kleiner Riegel umzulegen, und – schnipp – springt der
Kasten auf. Sie sollten das für mich tun. Ihre Gesundheit ist
Ihnen sicher. Ich kann Ihnen die Pest ersparen.«
Kenneth Herolds Augen wurden schmal. In seinem Hirn arbeitete es.
Er sprang unerwartet auf Muoll zu und wollte dem an die Kehle.
Blitzschnell war die Reaktion des Schwarzen Priesters. Seine Arme
kamen in die Höhe, und ehe Herold sich versah, umspannten die
kräftigen, sehnigen Hände des gespenstischen Gastes seine
Armgelenke.
»Was soll der Unfug? Ist Ihnen Ihre Gesundheit dieser kleine
Dienst nicht wert? Ich kann nicht dran. Sie können es. An dem
Geheimfach befinden sich Abwehrzeichen. Reißen Sie die Barriere
nieder! Lassen Sie sich eine Ausrede einfallen! Behaupten Sie, die
Papiere müßten verschwinden! Im Interesse Ihres toten
Bruders – im Interesse seiner Frau, die nur ins Gerede kommen
würde…«
»Meines toten Bruders?« Kenneth Herold schnappte nach
Luft. »Wie kommen Sie darauf? Welche Gewißheit haben Sie,
daß Sie so sprechen können? Ich…«
Da schlug das Telefon an. Das laute Klingeln wehte wie ein
böser Atem durch das Mahagoni-Büro.
»Das wird sie sein«, sagte Ontar Muoll trocken.
»Sagten Sie nicht, daß bis auf einen eventuellen
Telefonanruf Ihrer Schwägerin jeder andere Anrufer abgewimmelt
werden sollte?«
Kenneth Herold taumelte in Hose und Unterhemd hinter den
Schreibtisch und hob den Hörer des zum dritten Mal anschlagenden
Apparates ab.
»Herold«, meldete er sich tonlos. »Liz!« rief
er gleich darauf erfreut. »Gibt es was Neues?«
»Ja, Ken. Sie haben Henry gefunden!«
»Ausgeschlossen, Liz! Das muß ein Irrtum sein.
Wo?«
»Fünf Kilometer außerhalb von Valley Forst hat ein
Waldarbeiter den unter Laub und Ästen verborgenen Wagen
gefunden. Henry lag hinter dem Steuer, von drei Kugeln
durchbohrt!« Die Stimme, mit der Liz die Auskunft gab, war ohne
jeden Klang.
*
»Es kann nicht sein!« redete Kenneth Herold auf sie ein
und vergaß selbst seine eigene prekäre Lage. »Ein
Irrtum… ein Trugbild… denk an das, was wir beide besprochen
haben…«
»Es nützt nichts, Ken… Sheriff Crasher und seine
Leute… haben ihn selbst gesehen. Crasher… hat mir vor drei
Minuten die Nachricht überbracht. Ein Zweifel… ist
ausgeschlossen. Henry… wurde ermordet! Ich kann es nicht fassen,
Ken… es kann nicht wahr sein… es ist nicht wahr, sag,
daß ich träume, daß alles nicht wirklich
ist…«
Da verlor sie ihre Fassung und begann hemmungslos zu weinen.
»Komm her, Ken! Ich brauche jetzt jemand… ich kann nicht
allein sein. Ich werd’ verrückt…«, preßte
sie kaum hörbar zwischen Schluchzen hervor.
»Ich komme, Liz. Sofort! Ich werde dir beweisen, daß
hier ein schurkiges Spiel getrieben wird.« Er blickte auf den
Schwarzen Priester, der ohne jegliche Regung mit einem Grinsen auf
den Lippen nur durch die Schreibtischplatte von ihm getrennt entfernt
stand. »Ich werde dir etwas Wichtiges zu sagen haben, Liz…
hallo, Liz!«
Seine Augen verengten sich. Die Leitung war tot.
»Da hilft alles Hörerschütteln und
Auf-die-Gabel-Drücken nichts«, bemerkte Muoll eisig.
»Die Verbindung besteht nicht mehr. Sie haben ihr zugesichert zu
kommen. Damit war das Gespräch lange genug.«
»Ungeheuer!« stieß er hervor. »Was haben Sie
da angerichtet? Trugbilder, nicht wahr? Trugbilder, wie das angeblich
eingerichtete Labor, wie das sauber aufgeräumte private Zimmer
Henrys…«
Das Lächeln wich nicht von Muolls Lippen. »Nun, so
primitiv machen wir es uns nun auch wieder nicht, Mister
Herold«, blieb er betont höflich und ruhig, als ginge ihn
das alles nichts an. »Das Zimmer haben wir
selbstverständlich aufgeräumt. Das Labor haben wir wie eine
Fata Morgana entstehen lassen. Das Berührsystem der Abwehrfelder
ist durch Menschenhand entwertet und uns bekannt. Damit
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