Macabros 045: Das Geheimnis der grauen Riesen
peinigenden Stellen noch kratzen zu
können.
Er starrte auf den Mann. Zuerst veränderte sich sein
Schlips.
Er war nicht mehr dunkelblau und zeigte keine großen Punkte
mehr. Die Krawatte wurde hellgrau in der Grundfarbe und zeigte einen
dezenten blau-roten Streifen.
»Das ist doch meine Krawatte?« wunderte Kenneth Herold
sich.
Es wurde noch schlimmer.
Der Anzug des Schwarzen Priesters war nicht mehr dunkelblau,
sondern graphitfarben.
Das war Kenneth Herolds Anzug!
Die Augen des Anwalts glühten wie im Fieber.
Auch die Gestalt vor ihm veränderte ihr Aussehen, und der
Sterbende sah sich wie in einem Spiegelbild.
»Wenn Kenneth Herold mir den Weg nicht ebnet, werde ich mir
diesen Weg als Kenneth Herold ebnen«, vernahm er die Worte Ontar
Muolls mit seiner eigenen Stimme.
Ein qualvolles Stöhnen entrann den Lippen des Mannes, der in
den Pesthauch des Blutsiegels geraten war.
Der Sterbende sah seine grauen Hände vor sich. Die
gerstenkorngroßen Geschwüre platzten auf, ein fader
Nebelschleier stieg aus den sich erweiternden Poren und
kräuselte sich in der Luft.
Das Endstadium ging schnell aber qualvoll über die
Bühne.
Der von Molochos’ Pest Ergriffene wurde zu einem
spinnwebartigen Etwas, das schließlich morsch in sich
zusammenstürzte. Fahle Schleier webten als Restprodukt durch den
Raum.
Ontar Muoll, der jetzt mit jeder Faser Kenneth Herold war,
öffnete das Fenster und blickte hinunter auf die belebte
Straße. Fahle Schleier webte über ihn hinweg und an ihm
vorbei und wurden von der Luft aufgenommen. Niemand dort unten ahnte
etwas von den schrecklichen Ereignissen, die sich hier abgespielt
hatten.
Ontar Muoll schloß das Fenster, zupfte die Krawatte zurecht
und füllte dann das Magazin der Waffe neu aus dem Vorrat, der
sich in einer Schachtel der Lade befand. Er steckte die Waffe ein und
verließ dann das mahagonieingerichtete Büro.
»Dorothy…«
»Ich muß noch mal weg. Notieren Sie alles Wichtige und
legen Sie’s auf meinen Schreibtisch! Ich werde wahrscheinlich
erst spät heute abend nach Hause kommen, dann werfe ich hier
noch mal einen Blick rein. Sagen Sie den anderen Bescheid, daß
alle heute eine Stunde früher nach Hause gehen
dürfen!«
»Oh! Danke, Mister Herold!«
Er lächelte und versetzte ihr einen Klaps auf das stramme
Hinterteil. Damit tat er nichts Ungewöhnliches. Mit der
Übernahme von Kenneth Herolds Identität kopierte er auch
ganz dessen Gewohnheiten und Eigenarten.
Äußerlich und geistig stellte er die Einheit Kenneth
Herold dar. Darüber aber fungierte, seine wahre Identität
als Ontar Muoll, der er war und blieb und die von einer anderen
Identität nie völlig überdeckt werden konnte.
Er hatte ein Ziel vor Augen, mit der Verwandlung in Kenneth Herold
bezweckte er etwas.
Er benutzte den Wagen, mit dem der Anwalt gekommen war, und
verließ wenig später die Stadt.
Axxon, der Schattendiener, löste sich aus seinem eigenen
Schatten und huschte auf den Rücksitz. Die ganze Zeit über
hatte er teilgenommen an den Geschehnissen, war im Schatten Muolls
geblieben und nicht selbst in Erscheinung getreten.
Muolls Ziel war das Haus Liz Herolds. Bis dorthin waren es knapp
fünfzehn Meilen.
Das Gebäude lag ganz außerhalb der Ortschaft. Auf dem
Weg dorthin hatte Ontar Muoll alias Kenneth Herold Gelegenheit, sich
über sein Vorgehen klarzuwerden. Er sah überhaupt keine
Schwierigkeiten mehr, wenn das wichtigste Hindernis erst mal
beseitigt war.
Und dies war eben die Abwehrformel auf der Lade zu dem Geheimfach.
Liz Herold selbst mußte die Papiere herausnehmen und sie ihm
übergeben.
Dann hielt er den Schlüssel in der Hand, den Henry Herold
gefunden hatte und der ihm das Tor zu den Grauen öffnete.
Der Weg nach drüben würde dann auch ihm, Ontar Muoll,
möglich sein. Die Dämonenbarriere, von den Grauen einst
errichtet, würde völlig bedeutungslos sein.
Frei war dann der Weg zum Blutsiegel. Völlig neue
Perspektiven eröffneten sich ihm, wenn er das große,
voller Geheimnisse und Pein steckende Siegel aus der Welt der Grauen
holte.
Dann bestand nicht nur die Chance, die fürchterlichsten Dinge
für die Grauen selbst entstehen zu lassen, sondern auch einen
neuen Brückenkopf in dieser, der irdischen Welt entstehen zu
lassen, die Molochos über kurz oder lang zu Füßen
liegen sollte.
Ontar Muoll war zuversichtlich, als er die Klingel betätigte
und das Hausmädchen von Liz Herold ihm öffnete…
*
Er war von Gefühl federleichten Schwebens erfüllt
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