Macabros 046: Blutsiegel des Molochos
quälenden Gedanken schnürten ihr die Kehle zu, und
sie meinte, die Wände ringsum schienen auf sie zuzukommen.
›Reiß dich zusammen, Joan! Du bist doch sonst nicht so
zimperlich, verdammt nochmal!‹ redete sie sich ein. Aber es half
nichts.
Schnell griff sie nach ihrer Handtasche neben der Anrichte und
entnahm ihr ein ledereingebundenes Notizbuch, in dem die Adressen und
Visiophonnummern ihrer Freunde und Bekannten standen. Eine
plötzliche Gedächtnisschwäche ließ eine
Lücke in ihrem Bewußtsein entstehen und machte es ihr
unmöglich, sich der Visiophonnummern zu erinnern, die sie sonst
auf Anhieb im Kopf hatte.
Sie entschloß sich Suja anzurufen. Die zierliche Inderin war
die Tochter eines Diplomaten, und sie lernten sich vor einigen Wochen
zufällig in einem Fitneß-Center kennen.
Sofort verstanden sie sich, und in der Zwischenzeit hatten sie
sich auch mehrmals getroffen. Suja würde bestimmt zu Hause sein.
Zu Williams Familie unterhielt sie keine Beziehungen, demnach konnte
sie auch nicht auf der Party sein. Der Gedanke daran beruhigte
sie.
Sie klappte die Seite auf und war dabei, die Nummern in die
Tastatur einzugeben, als sie das Geräusch vernahm.
Joan Cassners Nackenhaare stellten sich auf.
Die Hand, die noch auf der Tastatur lag, wurde kalt und weiß
wie Eis.
Da war es wieder!
Das Summen – das Summen wurde stärker.
Sie war außerstande, sich von der Stelle zu bewegen.
*
»Wir sind da.«
Captain Beverly und Professor Watchson kamen vor einem
schmucklosen, langgestreckten Gebäude an. Das war das
Leichenschauhaus.
Der Captain und der Professor gingen gemeinsam mit Chaster Morgan
und dessen Begleiter die drei flachen Stufen zur Tür hinauf.
In der Straße vor dem Leichenschauhaus standen noch zwei
weitere Fahrzeuge. Die Entdeckung, daß Cassners Leiche
verschwunden war, hatte einige Aktivitäten entfacht.
Beverly sprach seinen Namen und seine Erkennungsnummer in ein
verborgenes Mikrophon, und im nächsten Moment öffnete sich
die dunkle Doppeltür wie von Geisterhand bewegt.
Die Männer traten ein.
Der diensthabende Angestellte mit weißem Kittel kam ihnen
durch eine schmale Tür entgegen, begrüßte Beverly und
seine Begleiter und meinte: »Mr. Sambert und Dr. Hershfield sind
ebenfalls noch da. Sie untersuchen – die Reste des
Leichnams.«
»Die Reste – der Leiche?« fragte Beverly
verwundert.
Eine Minute später wußte er, was damit gemeint war.
Sambert und Hershfield befanden sich in einem
weißgekachelten Raum mit einem kleinen Tisch
Reagenzgläsern und Schalen, in denen verschiedenartige
Präparate aufbewahrt wurden.
Was hier vorgefallen war, stellte alle Beteiligten vor ein
Rätsel.
Dr. Hershfield meinte: »Der normale Weg ist der, daß
Tote erst nach langer Zeit zerfallen. Hier hat sich der Vorgang
– trotz Kühlung – innerhalb von vierzig Stunden
abgespielt…« Mit diesen Worten ging er um die Bahre herum,
auf der ein weißes Laken ausgebreitet lag. Auf dem Laken waren
einige kleine graue Partikel auszumachen, die man nur bei genauerem
Hinsehen erkannte.
»Diese grauen Partikel – sind die Reste, meine
Herren.«
Chas Morgan beugte sich nach vorn. »Sie haben die chemische
Analyse schon durchgeführt, um sicher zu sein, daß dies
Reste vom Gewebe des Körpers des Toten sind?«
»Der Test ist noch nicht abgeschlossen, Mister
Morgan.«
Es verwunderte Hershfield überhaupt nicht, daß ein
Angehöriger der AD-Abteilung hier mit von der Partie war.
Hinzukam, daß der Name Chaster Morgan über den Bereich der
AD-Dienststellen hinaus einen guten Klang hatte. Es war bekannt,
daß Morgan waghalsige Abenteuer riskierte und als Inspektor
dieser Abteilung das Recht hatte, an Polizeiaktionen teilzunehmen,
sobald auch nur der geringste Verdacht bestand, daß ein
ungeklärter Vorfall die innere und äußere Sicherheit
gefährden konnte. Und alles sprach bis jetzt dafür,
daß ein solcher Verdacht gerechtfertigt war.
Zehn Minuten dauerte die chemische Analyse noch.
Dr. Hershfield nahm das Reagenzglas aus der Zentrifuge und
betrachtete sich die ins Blaue gehende Flüssigkeit genau.
»Ich verstehe das nicht«, murmelte er. »Aber ein
Irrtum ist ausgeschlossen. Dieser dritte Test unterstützt die
beiden ersten Analysen und zeigt ganz deutlich, daß ein Irrtum
ausgeschlossen ist. Aber Sie sehen es alle, meine Herren: die
Flüssigkeit ist blau.«
»Hatten Sie etwas anderes erwartet, Doc?« wollte Captain
Beverly wissen.
»Offen gestanden: ja! Die Flüssigkeit
Weitere Kostenlose Bücher