Macabros 049: Die Qualligen aus der Mikrowelt
Gesicht des
bärtigen Mannes mit den weisen Augen spiegelte.
»Sie waren schon immer da… und es wird sie immer
geben«, sagte er freundlich und nachdenklich, und die Augen des
Mönchs nahmen die Augen, die ihn gierig und sezierend
anblickten, einfach fort und übernahmen deren Form und Farbe, in
denen er für Bruchteile von Sekunden etwas Raubtierhaftes,
Teuflisches hatte aufblitzen sehen. Nun war nur noch Ellerbrecht da.
»Sie kommen aus dem Reich des Mikrokosmos. Sie können
fühlen, hören und sehen – und denken. Sie sind kleiner
als Bakterien, aber in seiner unergründlichen Allmacht und
Schöpferfreude hat der Herr jedem Leben eine Absicht, einen Sinn
mitgegeben. Es gibt das Gute im Makrokosmos wie im Mikrokosmos. Ich
glaube für mich erkannt zu haben, daß es dort, wohin die
Schärfe unseres Blicks nicht mehr reicht, auch noch Leben gibt.
Kleinstlebewesen, die sich unserem Auge entziehen…«
Im Schlaf, da ihm praktisch alle Texte, die er intensiv studiert
hatte, nochmal in der Stimme des Mönchs vorgesprochen wurden,
wurde ihm bewußt, welche gewaltigen Kenntnisse dieser Mann
damals schon gehabt hatte. Ellerbrecht war seiner Zeit weit
voraus!
»Ich gehe so weit zu behaupten, daß der Mikrokosmos
gute und schlechte Geschöpfe hervorgebracht hat wie der
Makrokosmos, daß der Abfall Luzifers, der sich vom Licht
abwandte, sowohl im Makrokosmos wie im Mikrokosmos seine Spuren
hinterlassen hat. Es gibt Kräfte, die über die Grenzen
hinausragen, und es gibt Menschen und Quallige, die über
teuflische und magische Fähigkeiten verfügen, um auf diese
wie auf der anderen Welt Unheil und Unfrieden zu stiften.
Die Qualligen kommen aus dem Unsichtbaren – aber sie sind
keine Unsichtbaren, sie haben Form und Gestalt und Geist. Sie sind
die Menschen der Mikroweit, auch wenn sie uns nicht im entferntesten
ähnlich sehen. Doch lassen wir unseren Blick doch nur mal in
unsere unmittelbare Umgebung schweifen. Was sehen wir da? Die
Tierwelt in Wald, Feld und Flur… die Käfer und Spinnen, die
Vielfalt der Raupen und Schmetterlinge, der Vögel… die
Fische im Teich und in den fließenden Gewässern… sind
die Namen der Arten nicht Legion? Und bringt unsere eigene, sichtbare
Umwelt nicht schon zahllose Geschöpfe hervor, die sich nicht im
geringsten ähnlich sehen? Betrachten wir uns doch selbst!
Gleicht ein Mensch denn dem anderen? Was die Welt des für uns
Nichtwahrnehmbaren für die Qualligen ist – ist die Welt des
Wahrnehmbaren für uns Menschen.
Mensch und Quallige sind verschieden, haben verschiedene
Auffassungen. Die Qualligen kamen, um zu töten. Ist das der Sinn
ihres Daseins? Dann hat Luzifer, der Abgefallene, ganze Arbeit
geleistet, und dann wird das Unheil aus einer Richtung kommen, von
der die Menschheit nichts ahnt – weil sie für dieses Unheil
keine Augen hat.
Verderben und Krankheit haben oft eine unbekannte Ursache. Sie
kommen aus einer Welt zu uns, die wir nicht sehen können –
aus dem Mikrokosmos? Ich glaube – ja.«
Das Bild des Mönchs verblaßte, und traumlos verging die
Zeit. Aber einen tiefen, erholsamen Schlaf fand Frank Morell nicht.
Und als der Wecker rasselte, da fühlte er sich bleischwer und
wie zerschlagen, und es kam ihm so vor, als hätte er sich eben
erst hingelegt.
Schon wieder Zeit zum Aufstehen?!
Er mußte ins Büro.
»Verdammter Mist«, entfuhr es ihm noch im
Halbschlaf.
Er trat die Decke zurück und reckte die Arme. Die Augen hatte
er noch gar nicht richtig geöffnet, aber durch die geschlossenen
Lider nahm er das helle Tageslicht wahr, das durch das Fenster
fiel.
Seine linke Hand berührte etwas Weiches, Schwammartiges.
Wie von einer Tarantel gestochen, sprang er auf.
Drei, vier, fünf Quallige wuchsen plötzlich
explosionsartig um ihn herum auf und engten sein Blickfeld ein.
Schleimige Ausstülpungen wurden ihm schmatzend
entgegengeworfen.
Die Qualligen waren kein Traum! Sie wollten ihn
phagozytieren…
Er fühlte den klebrigen Schleim wie ein Zentnergewicht auf
seiner linken Schulter. Die Masse drückte ihn förmlich
herab, und gleichzeitig wurde er nach vorn gesaugt.
Er wehrte sich verzweifelt.
Seine Füße versanken in der nachgebenden Gallertmasse.
Die starren, kalten Glotzaugen blickten ihn hypnotisierend an, die
peitschenden, fühlerartigen Auswüchse ließen die
Luftmassen um ihn und die Quallenkugeln zischend zusammenfahren.
Morell fühlte sich geschoben und gezogen, gestoßen und
von schwammigem Gewebe eingehüllt.
Der
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