Macabros 049: Die Qualligen aus der Mikrowelt
ihn davon abhielt, jenen Menschen mit eigener Hand
zu berühren.
Er grinste dämonisch. Aber es gab schließlich auch
andere Methoden, sich der Gegner zu entledigen, die da meinten,
daß sie ihnen – den andern – auf die Schliche
kamen.
De Krestin verengte die Augen. Nur wenn man genau hinsah, war zu
erkennen, daß die Pupille nicht rund war, sondern eine leicht
elliptische Form hatte.
Es waren nicht die Augen, wie ein Normalsterblicher sie
aufwies.
Jetzt aber, unter dem Druck der geistig-magischen Konzentration,
veränderten sie sich.
Die Pupillen wurden rund – die Farbe der Iris nahm ein
sattes, dunkles Braun an, die Haarform und Gesichtsform
veränderten sich. Die Nase wurde gerade, der scharfe Schwung der
Lippen verlor sich.
De Krestin hatte plötzlich ein glattes Gesicht, ein
Alltagsgesicht, das man sah und wieder vergaß.
Es war das Gesicht des – Professor Ronald Wolfe aus New
York!
*
Die Umgestaltung seines Gesichts in das Ronald Wolfes war
überhaupt kein Problem. Das gelang auf Anhieb.
Er lachte. Es klang rauh und überheblich und teuflisch.
Er nahm sein altes Aussehen wieder an, machte noch zwei Fuhren und
brachte dann das Taxi zur Station zurück.
Dort unterhielt er sich noch mit einigen Kollegen, die ebenfalls
ihre Schicht gefahren hatten, und mit anderen, die jetzt
anfingen.
Kurt de Krestin war so wie immer.
Er ließ sich von einem Kollegen nach Hause fahren. Er wohnte
in Sachsenhausen.
Dort stieg er aus, nahm die Aktentasche und die in Papier
eingewickelten Kleidungsstücke an sich und verabschiedete sich
von seinem Kollegen.
»Was schleppst du denn da alles mit dir herum?« wollte
der wissen, auf das umfangreiche Paket deutend.
Krestin winkte ab. »Ein paar alte Klamotten, die schon
’ne Zeitlang in der Reinigung hingen. Hab sie endlich
abgeholt.«
In seiner Wohnung kleidete er sich um.
Er nahm Ronald Wolfes Körpergröße und Aussehen an
und zog dann dessen erbeutete Kleider an. Sie paßten ihm wie
angegossen.
Dann nahm er die Aktentasche an sich, die Wolfe ebenfalls bei sich
getragen hatte, als er das »Reisebüro«
verließ.
Nicht Kurt de Krestin kehrte der Sachsenhäuser Wohnung den
Rücken, sondern ein Amerikaner namens Ronald Wolfe. Professor
Ronald Wolfe aus New York. Und nur eines unterschied diesen falschen
Professor von dem echten, über den sich die Ratten hermachten:
Er trug kein Amulett mehr am Hals.
Das nämlich hätte Kurt de Krestin auch in seinem
Aussehen als Ronald Wolfe nicht vertragen. Das Amulett hätte wie
ein Brenneisen auf seiner Haut gewirkt.
Kurt de Krestin konnte nicht viel, doch die Tricks, deren er sich
bediente, reichten ihm aus – schließlich war er nur ein
Halbdämon.
*
In Paris dauerten die Gespräche zwischen Trudeau und
wichtigen Persönlichkeiten länger, als man voraussehen
konnte.
Doch Mirakel nahm sich Zeit.
Es war längst nach Mitternacht, als Trudeau endlich nach
Hause kam.
Seine Frau sagte etwas im Halbschlaf und machte ihm Vorwürfe,
daß er so lange arbeitete.
»Es kommt nicht wieder vor, Cherie«, versprach er ihr,
genau wissend, daß er dieses Versprechen nicht halten
konnte.
Er zog vorsichtig die Tür zum Schlafzimmer zu und
öffnete dafür die Balkontür.
Mirakel glitt durch die Luft, er hatte nur auf dieses Zeichen
gewartet.
Marcel Trudeau ließ nur eine kleine Tischlampe brennen.
»Erzählen Sie mir über sich«, forderte er den
Besucher auf, der ihm und Roger Parnasse das Leben gerettet hatte.
»Und dann bitte, kneifen Sie mich – damit ich erkenne,
daß Sie Wirklichkeit sind!«
Mirakel tat ihm den Gefallen. Marcel Trudeau verzog schmerzhaft
das Gesicht.
»Können Halluzinationen – wehtun?« fragte
er.
»Sicher gibt es das. Aber ich bin keine. – Fragen Sie
nicht nach dem Woher, nach dem Wieso und Warum, Kommissar! Abgesehen
davon, daß mein Französisch zu schlecht ist, um hier
detaillierte Antwort zu geben, wäre es sinnlos, Ihnen meine
Existenz plausibel machen zu wollen. Ich bin ein Mensch aus Fleisch
und Blut wie Sie…«
»Der fliegen kann?«
»Das können sicher viele, aber sie erinnern sich
bloß nicht mehr daran! Die Träume, die jeder durchmacht
– in der Kindheit, in der Jugend – Träume vom Fliegen,
was sind sie möglicherweise anderes als die Erinnerung der
wandernden Seele an eine andere, frühere Existenz? Aber ich bin
nicht hier, um mit Ihnen über übernatürliche
Phänomene zu diskutieren. Die würden zu nichts führen.
Nehmen Sie mich so hin, wie ich bin – auch
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