Macabros 050: Rha-Ta-N'mys Leichenschlucht
Bücher über Heilkräuter und
magische Beschwörungsformeln, die bestimmte Krankheiten
ausmerzen sollten. Zu meiner eigenen Verwunderung entdeckte ich bald,
daß ich damit Erfolg hatte. Aber was ich mit guten Gedanken
erreichen konnte, das genügte mir bald nicht mehr, und ich
erkannte, daß ich mein Leben von Grund auf verändern
konnte, wenn ich mich der Gedankenwelt Rha-Ta-N’mys
öffnete, die für das Menschengeschlecht seit jeher eine
besondere Schwäche hatte.
Ich studierte die Schriften, die über sie im Umlauf waren.
Rha-Ta-N’my versprach ewiges Leben demjenigen, der bereit ist,
sich ihr ganz zu verschreiben. Einem erst ist es in dieser absoluten
Form perfekt gelungen: das ist Molochos, ein schwarzer Priester aus
dem Lande Xantilon, der alles abstreifte, der sein Volk verriet, um
dieses Leben im Reich der Dämonen zu führen.
Wenn man mal den Gedanken gefaßt hat, seinem Leben eine
bestimmte Richtung zu geben, dann wird es oft recht schwer, das
Steuer herumzureißen, auch wenn man erkennt, daß die
rasende Fahrt in den Abgrund geht.
Vielleicht war ich nicht ganz geschickt mit dem, was ich da vor
rund vierzig Jahren in die Wege zu leiten begann. Ich stellte schon
bald fest, daß ich gar nicht so eigennützig bin, wie ich
das immer vorzugeben bereit war.
Meine Kontakte zur Welt der Jenseitigen, die nur das eine Ziel im
Auge haben, die Menschen, wie sie jetzt sind, zu vernichten und von
ihrer Welt Besitz zu ergreifen, brachten es mit sich, daß ich
meine eigene Gedankenwelt, meine ureigenen Bewußtseinsinhalte
intensiver unter die Lupe zu nehmen begann. In jedem Menschen steckt
ein göttlicher und ein satanischer Funke, wirbelnde Kräfte,
die stets im Widerstreit miteinander stehen. Mal überwiegt das
eine, mal das andere, nicht Schwarz- und Weißtöne der
Seele werden in der Regel sichtbar, sondern das verwaschene Grau. Und
an jedermann selbst liegt es im Grund genommen, was er aus seinem
Leben macht. Er kann sich aus freiem Willen für die eine oder
andere Seite entscheiden. Gegen seinen Willen ist überhaupt
nichts möglich, doch verstehen es die finsteren Kräfte aus
der Welt Rha-Ta-N’mys ganz geschickt, menschliche Schwächen
für sich nutzbar zu machen. So mag es den Anschein erwecken,
daß viele in den Strudel der Ereignisse geraten, die sie im
Prinzip gar nicht gewollt haben. Aber ihre Seele war in Wirklichkeit
bereit, der Boden, auf den das Samenkorn fiel, war vorbereitet.
Ich habe es am eigenen Leib verspürt. Manchmal verfluchte ich
mein Geschick, das mich in die Gedankenwelt der anderen
einführte. Ich war überzeugt davon, das gefährliche
Terrain jederzeit wieder verlassen zu können. Aber – wollte
ich das eigentlich? Wahrscheinlich nicht. Und das ist der Grund,
weshalb ich jetzt an diesem Punkt angelangt bin, der die Entscheidung
fordert: entweder Tod – oder ein neues Leben! Durch
Rha-Ta-N’my, die die Macht dazu hat!«
Joe Octlan hörte die Worte, aber er begriff deren Sinn nur
teilweise.
»Als ich mich für Rha-Ta-N’my entschloß,
entschloß ich mich für ein Leben nach dem Tod. Die
Dämonengöttin selbst läßt den Auserwählten
wissen, was sie für die Gabe erwartet. Ich kann mit meinem
Körper nicht weiterleben – er ist zerstört. Mein Geist
und meine Seele aber gingen hinüber in das Reich der
Dämonen, das ich so oft geschaut habe, im Wachen wie im
Träumen. Das war eine Möglichkeit. Die zweite: einen
Körper zu übernehmen, der ebenfalls vorbereitet ist, der
aber mit dieser Vorbereitung nichts anzufangen weiß. Auf dieser
Welt gibt es viele, die noch wie Menschen aussehen – aber in
Wirklichkeit keine sind. Diese Tarnung ist das Höchste, das wir
in Molochos und Rha-Ta-N’mys Namen mitbringen. Ich hätte
einen der vielen kleinen Helfershelfer nehmen können, die im
Namen der Dämonengöttin und des Dämonenfürsten
daran arbeiten, zu manipulieren, zu verändern und zu
verführen. Aber warum eine Kraft abziehen, die irgendwann noch
gebraucht wird? Durch den direkten Zugang, den ich zu
Rha-Ta-N’mys Welt fand, durch die zahlreichen Gesichter, die
Namen, die ich erkannte als die ihren, auch wenn sie scheinbar nicht
das geringste direkt mit Rha-Ta-N’my zu tun hatten, stehe ich
über den anderen. Ich kann einen anderen Körper
übernehmen und meinen alten, schwachen verlassen, der
längst nicht mehr zu existieren in der Lage ist. Aber warum soll
ich einen niederen Dämon oder einen Halbdämon benutzen,
wenn es ein Opfer gibt, das vorbereitet ist, das seinen Sinn
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