Macabros 051: Skelettus, Fürst der Knochenburg
der
Treppe.
Anka Sörgensen bekam noch einige Spritzer des heißen
Tees und Kaffees ab, aber die Hauptflut ergoß sich über
die Wand und die Treppe, wo sich sich noch eben befand.
Der Stellagenwagen überschlug sich, und der ganze Segen
ergoß sich in die Tiefe.
Anka Sörgensen kauerte verkrampft neben dem
Treppengeländer, und ihre angsterfüllten Augen schienen aus
den Höhlen zu treten, als der Wagen sich beim Überschlagen
noch mal seitlich wegdrehte und ihr gefährlich nahe kam.
Sie hatte schon das Gefühl, von der anderen Seite
zerschmettert zu werden. Aber die Breite des Treppenaufgangs rettete
ihr das Leben.
Sie wurde nur gestreift. Ihr Oberarm wurde von der scharfkantigen
Unterseite leicht geritzt, und der Schmerz jagte wie Feuer durch ihre
Schulter. Sie hätte in dieser Sekunde am liebsten im Erdboden
versinken mögen.
Mit Donnergetöse schlug der Wagen auf den Treppenabsatz und
blieb dort liegen.
Türen wurden aufgerissen, durch die Gänge eilten
Schwestern und Ärzte, um nach dem Rechten zu sehen und um Hilfe
zu bringen.
Anka Sörgensen wurde von hilfreichen Händen in die
Höhe gezogen.
»Ist Ihnen was passiert?« fragte eine leise Stimme
erschreckt.
Dann war Dr. Belman schon da. Noch ehe sie ihn sah, registrierte
sie schon den Duft seines herben, männlichen Rasierwassers.
»Alles in Ordnung, Fräulein Sörgensen?« fragte
er besorgt.
Sie war bleich und unfähig, in diesen Minuten auch nur ein
Wort zu sagen. Sie konnte nur nicken.
Sie stand etwas wackelig auf den Beinen, während sie von
beiden Seiten unter die Arme gefaßt und gestützt
wurde.
»Sofort ins Bett«, ordnete Belman mit leiser Stimme
an.
Die Hilfsschwester, die den Proviantwagen geschoben hatte, stand
bleich und verstört an der Wand.
»Ich weiß nicht… wie es geschehen ist… der
Wagen ist mir plötzlich aus der Hand geglitten… es tut mir
leid, es tut mir so leid…«
Als Anka Sörgensen an ihr vorüberkam, stieß sie
sich von der Wand ab.
»Ich hoffe, es ist Ihnen nichts passiert?« Die Stimme
der Schwester klang belegt.
Anka schüttelte den Kopf. »Der Schreck… es ist nur
der Schreck«, murmelte sie mit schwacher Stimme. »Zum
Glück – ist alles nur halb so schlimm gewesen.«
Patienten, die neugierig aus ihren Zimmern gekommen waren oder an
den Türen standen, wurden vom Personal beruhigt und in die
Zimmer zurückgebeten.
Nur eine halbe Etage höher stand eine Frau mit ungepflegtem,
hochgestecktem Haar und grauem Gesicht. Sie trug einen bunt
gemusterten Frotteemantel und blickte interessiert nach unten, wo
sich das Geschehen abgespielt hatte. Um die runzligen Lippen lag ein
enttäuschter, bitterer Zug.
Im Vorübergehen nahm Anka Sörgensen die Patientin, die
oben mitten auf dem Treppenaufgang stand, wahr.
Ihre Blicke begegneten sich.
Anka Sörgensen dachte sich nichts dabei…
*
Der Arzt bestand darauf, daß sie sich hinlegte. Sie bekam
eine Beruhigungsspritze und fühlte sich kurz danach ausgeglichen
und entspannt.
Die oberflächliche Armwunde war behandelt worden. Belman
hatte am meisten befürchtet, daß die
Blinddarmoperationsnarbe durch den Sturz aufgerissen sein
könnte. Aber hier erwiesen sich seine Befürchtungen als
unbegründet.
Da es keine frische Narbe gab, konnte sie auch nicht
aufreißen.
Anka Sörgensen überwand den Schreck recht schnell.
Schon nach einer Stunde drängte sie es, das Bett zu
verlassen.
Sie tauchte an der Tür auf und lief einer Schwester in die
Arme, die gerade herein wollte.
»Nichts wie in die Federn!« wurde sie freundlich
aufgefordert. »Wenn Dr. Belman das sieht, gibt’s ein
großes Donnerwetter.«
»Ich bin nicht mehr so krank, um liegen zu müssen. Die
andere Sache ist ausgestanden. Es ist schrecklich, im Bett liegen zu
müssen, wenn einem nicht danach ist…« Sie unterbrach
sich. Vom Ende des Korridors kam die Fremde heran in dem auffallend
bunten Frotteemantel. Anka Sörgensens Augen verengten sich
unwillkürlich, und der Krankenschwester, die so dicht vor der
jungen Osloerin stand, entging die Regung in Anka Sörgensens
Gesicht nicht.
Sie folgte dem Blick der Patientin. »Nun, stimmt etwas
nicht?«
»Diese Frau dort, Schwester…«
»Welche Frau, Fräulein Sörgensen?«
»In dem bunten Frotteemantel, mit der unmöglichen
Frisur… ich habe sie schon ein paarmal heute gesehen. Sie ist
wohl sehr krank? Sie sieht schlecht aus.«
»Ich weiß nicht, von wem Sie reden, Fräulein
Sörgensen…« Die Blicke der Schwester gingen den Gang
entlang
Weitere Kostenlose Bücher