Macabros 055: Mysterion, der Seelenfänger
den Schlag auf sich zukommen. So schnell er zu
reagieren verstand, war er noch damit beschäftigt, seinen
getroffenen Arm zurückzuziehen. Die Faust landete in seiner
Magengrube.
Der Schlag bereitete Mirakel keine Schmerzen. Die energetische
Aura, die ihn umgab, bewahrte ihn davor. Dennoch wurde er
zurückgeschleudert. Er gab dem Druck des Aufpralls nach und
krümmte sich.
»Hilfe!« schrie der Taxifahrer.
Er stand unbeweglich vor seiner halbgeöffneten Wagentür
und glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Zwei Menschen
bekämpften sich unter titanischen Schlägen, von denen ein
einziger ausgereicht hätte, ihm den Garaus zu machen.
Suchend blickte er sich um. Er hoffte einen Passanten zu erkennen,
den er auf das Geschehen aufmerksam machen konnte. Doch die Gasse war
völlig leer.
Nur er befand sich hier – und die beiden Kämpfenden!
Nachdem Estrelle auf die erste Defensive Mirakels einen
vernichtenden Schlag hatte folgen lassen, war es nun an ihm, den
Rückzug anzutreten. Ein Hagel von Schlägen prasselte auf
ihn nieder, denen der Roboter durch geschickte Windungen zu entkommen
versuchte.
Der Dyktenmann war verwirrt.
Noch nie hatte ihm ein Gegner ähnliche Schwierigkeiten
bereitet. Zumindest nicht bei einem Kampf Mann gegen Mann.
Fieberhaft überlegte der Dykte, wie das zu erklären war.
Der äußeren Erscheinung nach war sein Gegner ein Mensch
wie viele andere. Aber dieses äußere Erscheinungsbild
ließen auch Abgesandte der Finsternis des öfteren um sich
entstehen.
Geistesgegenwärtig duckte sich Mirakel. In den nächsten
Schlag steckte er alle Kraft, die er aus seiner Situation
hineintragen konnte. Er traf voll.
Estrelles Beine hoben sich vom Boden. Er flog zwei Meter von
Mirakel weg und landete schweigend auf der Erde. Kein Laut des
Schmerzes kam über seine Lippen.
Das war doch kein Mensch!
Augenblicklich stürzte sich der Dykte hinterher. Mit
erhobener Faust warf er sich auf ihn. Ein letzter, vernichtender
Schlag!
Er kam nicht dazu.
Kurz bevor ihn Mirakel erreichte, rollte er sich zur Seite. Der
Dyktenmann erkannte im letzten Moment, daß er auf dem Boden
landen würde und krümmte sich. Geschickt überschlug er
sich und stand mit beiden Beinen wieder auf festem Untergrund.
Wieder begannen sie sich gegenseitig zu belauern. Nur im
Unterbewußtsein bekam Mirakel mit, daß der Taxifahrer
sich in seinen Wagen warf und voller Panik die Zündung
betätigte. Er ließ den Motor laut aufheulen. Mit
quietschenden Reifen jagte das Fahrzeug davon.
Aufmerksam betrachtete Mirakel seinen Gegenspieler. Täuschte
er sich oder glänzte dort tatsächlich etwas am Kinn des
Fremden?
Er täuschte sich nicht! Es funkelte dort wie –
Metall!
Der Fremde war ein Roboter.
Nun war dem Dykten alles klar, die titanische Kraft seines
Widersachers wie auch die offensichtliche
Schmerzunempfindlichkeit.
Und doch: dieses Funkeln in seinen Augen…
Es zeugte von Leben!
Mirakel ließ sich fallen, als sich Estrelle
übergangslos auf ihn warf. Er spürte den Luftzug des sich
über ihn schnellenden Körpers und griff zu. Laut klatschend
prallte der Roboter auf die harten Steinplatten.
Der Dykte schnellte herum und wollte dem Kampf ein Ende machen, da
hielt ihn eine sonderbare Leuchterscheinung von seiner Absicht
zurück.
Von einem Augenblick zum anderen war Estrelle in diffuses Licht
gehüllt, das ihn in immer stärkerem Maß zu umwabern
begann.
Der Roboter ließ das ruhig mit sich geschehen. Er erhob sich
wieder und stellte sich aufrecht vor den Dyktenmann, ohne die
Erscheinung eines Blickes zu würdigen.
Aber auch einen Angriff unterließ er. Estrelle verhielt sich
völlig passiv. Er schien auf etwas zu warten.
Das Geschehen vollzog sich selbst für Mirakel zu schnell, als
daß er hätte reagieren können. Als er endlich zur
Seite springen wollte, hatte auch ihn die diffuse Leuchterscheinung
bereits völlig eingehüllt.
Er sah alles durch einen milchigen Schleier. Verzweifelt versuchte
er das Gespinst zu fassen, aber ebenso hätte er versuchen
können, einen Lufthauch in seiner Hand zu verbergen. Der
Schleier um ihn war reines Licht.
»Wer hätte das gedacht«, gellte ihm plötzlich
eine Stimme in den Ohren.
»Wer hätte gedacht, daß sich der großartige
Dyktenmann auf so einfache Weise fangen ließ.«
Die Stimme erscholl mitten aus der Luft. Weit und breit war sonst
niemand zu sehen, der die Worte vielleicht hätte aussprechen
können. Soweit Mirakel durch das milchige Gespinst
überhaupt sehen konnte.
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