Macabros 055: Mysterion, der Seelenfänger
ihm. Kurz bevor er
mit ihr zu kollidieren drohte, schwenkte er in die Horizontale und
begann um seinen Gegner herumzufliegen, öfter – und immer
schneller.
Mysterion schrie erschreckt auf.
»Du weißt es, Mirakel«, sagte er. »Du darfst
mich nicht berühren!« Er stimmte ein schauerliches
Gelächter an.
Die Vermutung des Dyktenmannes schien sich zu bestätigen. Die
Fäden hatten die Verfolgung aufgegeben.
»Niemand kann mich besiegen«, sagte Mysterion.
Er ging zwei Schritte nach vorn und versuchte, aus der Kugelschale
auszubrechen, die Mirakel durch seine steten Umkreisungen um ihn
geschlossen zu haben schien. Doch für den Dykten waren diese
Schritte so langsam vollzogen, daß es ihm keine Schwierigkeiten
machte, sich ihnen anzupassen. Unentwegt rotierte er um seinen
Gegner.
Mysterion sah nur noch eine Chance. Die Fäden hatten nicht
das gewünschte Resultat erbracht, vielleicht tat es der
Roboter?
Er sandte einen scharfen Gedankenimpuls. Der Nachhall, der in
seinem Denken erklang, zeigte ihm, daß sein Faktotum darauf
angesprungen war.
Mysterion konnte nicht beobachten, was der Roboter tat. Der rote
Schemen, der ihn fortwährend umkreiste, nahm ihm jede Sicht. Er
hoffte.
Mirakel war es zu Anfang gar nicht aufgefallen, daß sich das
Kunstwesen in Bewegung gesetzt hatte. Sein ganzes Augenmerk galt der
Gestalt, die ihm den Garaus machen wollte. Er trachtete danach,
Mysterion mit immer größerer Geschwindigkeit zu umkreisen.
Auf diese Weise glaubte er ihn mit der Zeit auch gegen die Luft
hermetisch abzuriegeln.
Er versuchte ihn zu ersticken…
Den Roboter nahm er erst im letzten Augenblick wahr. Soeben war er
im Begriff, ihn zu berühren, als ihm ein sechster Sinn von
seiner Anwesenheit berichtete.
Mirakels Umkreisungen wurden unregelmäßiger. Da er den
Roboter nicht berühren durfte, mußte er ihm ausweichen.
Das wiederum brach eine Lücke in das Gefüge des Kokons, in
dem Mysterion steckte.
Wie nicht anders zu erwarten, nahm dieser die Möglichkeit
wahr. Hatte er auch vorher nicht gewußt, wie ihm sein Helfer
Unterstützung bringen wollte, so war es ihm doch jetzt klar,
daß nur er noch dafür in Frage kam.
Mysterion schlüpfte durch den Spalt und sah hinter sich den
Kokon zusammenbrechen. Mirakel hatte in seinen nutzlosen Flügen
innegehalten.
Ein erschreckender Gedanke überkam Mysterion.
Was war, wenn der Dykte sein Manöver wiederholte? Diesmal
brauchte er nur beide zu umkreisen, ihn als auch den Roboter, und
niemand würde ihnen mehr helfen können. Es wäre das
Ende!
Das steinerne Gesicht des Franzosen verlor etwas von seiner
gesunden Gesichtsfarbe, als er den Dykten von neuem sich nähern
sah. Es blieb ihm nur eines. Aber dieses eine war gleichzeitig ein
Eingeständnis seines Versagens.
Mirakel hatte seinen Gegner noch nicht ganz erreicht, da legte
sich ein Nebel um ihn. Nur schemenhaft erkannte er Estrelles Gestalt.
Nach und nach verblaßten auch die Umrisse. Der Nebel, der als
unförmige Realität vor Mirakel schwebte, hatte sie
geschluckt.
»Du kommst hier nicht lebend heraus«, rief eine eiskalte
Stimme aus seinem Innern. Es war die Mysterions. »Diese Station
wird dein Grab, Mirakel, dein Grab!«
Mirakel stand vor dem wabernden Nebel und lauschte. Er hatte keine
Möglichkeit, seinen Widersacher zu erreichen.
»Nicht das meine«, sagte er. »Zumindest nicht
nur!«
Als sich der Nebel langsam wieder verzog, war von Mysterion weit
und breit nichts mehr zu sehen. Er war im wahrsten Sinn des Wortes
von ihm verschluckt worden.
Aber er war nicht tot. Irgendwo lauerte er. Irgendwo in dieser
verfluchten Station…
*
Mirakel sparte sich langes Überlegen. Es ging nicht an,
daß Mysterion mit dem Leben davonkam. Er mußte ihn
unschädlich machen.
Er hatte den Blick noch nicht ganz von dem sich auflösenden
Nebel gewendet, da rannte er schon los. Es gab eine Stelle in diesem
Raum, die sich geöffnet hatte, als Mysterion und sein Roboter
erschienen waren. Auf sie bewegte er sich zu.
Mit einem kraftvollen Schlag seiner Rechten schmetterte er den
Estrelle-Roboter zur Seite, der sich ihm zögernd genähert
hatte. Jetzt, da er sich nicht mehr unter der geistigen Kontrolle des
Geheimnisvollen befand, wurde er wankelmütig. Die Art und Weise,
in der er Mirakel begegnete, ließ keinen anderen Schluß
zu.
Noch in der Stadt wäre es dem Dykten nicht so leicht
gefallen, sich seines Gegners zu entledigen.
Das Schott, durch das Mysterion gekommen war, hatte sich wieder
geschlossen.
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