Macabros 055: Mysterion, der Seelenfänger
hatte.
Kaum war er gegen die Wand geprallt, da griff er bereits nach dem
Etwas. Seine Augen glänzten.
Er war es! Es war der Kristall!
Ein Geräusch ertönte.
Noch während Franks Kopf herumflog, verbarg er den Kristall
hinter seinem Rücken. Sein Blick richtete sich auf die Gestalt,
die eben durch eine Tür getreten war.
»Mysterion!« hauchte Morell.
Er wußte selbst nicht, wie er dazu kam, das vor ihm stehende
Wesen mit diesem Namen zu belegen. Etwas an ihr sagte ihm, daß
es sich um niemand anderen als diesen handeln könne. Dabei hatte
er das Aussehen des Roboters, mit dem er kämpfte.
Der Unheimliche sagte kein Wort. Er starrte auf das absonderliche
Bild, das sich ihm bot. Ein Bild der Zerstörung, ein Bild, als
habe sich der Boden aufgetan und Wasser gespien. Wasser, das
eigentlich den Untergang Morells besiegeln sollte.
Endlich reagierte Mysterion.
»Du lebst!« zischte er.
Langsam bewegte er sich auf Morell zu, der stumm vor der Wand
stand. Erst als sich ihm das Geschöpf bis auf fünf Meter
genähert hatte, hob er die Hand.
»Bleib stehen!« sagte er. Seine Stimme klang hart und
ließ keinen Widerspruch zu. »Ich begrüße es,
daß du es nun vorziehst, dich mir doch noch zu zeigen. Aber ich
nehme an, du stelltest es dir unter anderen Umständen
vor.«
Mysterion antwortete nicht, sondern wandte sich um. Frank
hätte schwören können, daß er keinen Laut von
sich gab und keine Geste machte. Dennoch öffnete sich das
Schott, durch das er getreten war, zum zweiten Mal.
Erschreckt starrte Morell auf die Gestalt, die nun darunter zum
Vorschein kam. Sie glich Mysterions Äußerem bis aufs Haar.
Mehr sogar noch:
Sie war Mysterion!
Morells Blick flog von der Gestalt unter dem Schott zu der, die
vor ihm stand. Langsam begriff er. Nur eine dieser beiden Gestalten
war ein Roboter. Ob die vor ihm Stehende oder die andere war
gleich.
Es dauerte eine Weile, bis sich eine vage Feststellung Frank
Morells, die er vor Stunden machte, in seinem Bewußtsein
manifestierte.
Dieses Glühen! Das Glühen in den Augen des Roboters! Es
hatte von Leben gezeugt und…
Frank ahnte einen Teil des Dramas, das sich an dem Meeresforscher
Jacques Estrelle vollzogen hatte. Mit rauher Stimme richtete er sich
an den vor ihm Stehenden.
»Er dort, im Hintergrund«, sagte er, »ist er nicht
der wahre Mensch? Benutzt du nicht seine leibliche Hülle und
hältst seine Seele in der eines Roboters gefangen?«
»Er ist ein Opfer der Seelenfalle«, bestätigte
Mysterion.
Franks Ahnung wurde zur Gewißheit. Vor seinen Augen stand
das Grauen. Gerade das Schreckliche, daß nur der Geist ihm zum
Opfer fiel, machte es aus.
»Wie hast du dich befreien können?« fragte
Mysterion. »Denn«, er ließ seine Hand eine
kreisförmige Geste machen, »ich nehme nicht an, daß
der Zufall hier im Spiel ist.«
»Du nimmst richtig an! Ich selbst habe es
geschafft.«
Die Worte des Deutschen klangen noch in dem großen Raum
nach, da holte er seine Hand hinter dem Rücken hervor und
preßte sie in Höhe des Herzens auf seine linke Brustseite.
Sie war zur Faust geballt.
Leichtes Kribbeln trat auf. Sekundenschnell verbreitete es sich im
ganzen Körper. Noch während Mysterion vor ihm in
regungsloser Pose stand, wurde Frank Morell zu – Mirakel!
*
Es ging zu schnell, als daß Mysterion hätte reagieren
können. Er sah noch, wie Morells Hand vorschnellte und sich auf
die Brust preßte, dann zog ein Flirren über seine
Augen.
Mysterion ignorierte es. Augenblicklich wirbelte er um seine
Achse. Ein scharfer Gedankenbefehl traf den Roboter, der sich sofort
zu nähern begann.
»Nun ist es Zeit für einen fairen Kampf!«
erscholl die Stimme Mirakels.
Mysterion wandte sich um. Er war die Ruhe in Person. Der Schleier
vor seinen Augen war wie weggeblasen. Deutlich erkannte er vor sich
die rubinrot gekleidete Gestalt des Dykten.
Mysterion verzog das Gesicht Estrelles zu einem bösen
Lächeln.
»Ich habe dich unterschätzt!« bekannte er. »Du
schienst mir ein zu einfaches Opfer, so daß ich dir nicht die
Aufmerksamkeit angedeihen ließ, die dir zukam. Glaub’ mir:
einen solchen Fehler werde ich nicht mehr machen.«
»Dir wird nicht mehr die Möglichkeit gegeben
sein.«
Mirakel stand mit gespreizten Beinen vor ihm. Beide Hände
hingen ihm locker am Körper herab. Er machte den Eindruck
vollster Aktionsbereitschaft.
Mysterion sah ihn an. Er bemühte sich, so emotionslos wie
möglich zu wirken. In Wirklichkeit begann er seinen Gegner zu
fürchten.
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